Diese "Traviata" ist ein Kondensat des Wesentlichen, eine puristische Reduktion des großen Verdi-Stoffes auf den monumentalen Kern: Peter Konwitschnys 2011 in Graz umjubelte Interpretation des Sterbens der Kurtisane Violetta begeisterte am Dienstagabend auch im Theater an der Wien. Vor allem Marlis Petersen stellte bei der auf ihre Figur zugeschnittenen Inszenierung ihre Entwicklung unter Beweis.

Schließlich hatte sich die deutsche Koloratursopranistin mit ihrem Sensationsauftritt vor drei Jahren im italienischen Fach etabliert und ist als Einzige aus dem Grazer Urensemble wieder mit dabei. Ihr Sopran ist nicht schwer, besitzt aber genügend Substanz und Klarheit für die schwierige Partie - sich wunderbar in die klare Konzeption Konwitschnys einfügend. So bringt der 69-jährige Deutsche eine gänzlich unitalienische "Traviata" auf die Bühne, reduziert den Stoff auch ästhetisch - diesesmal ist Opulenz seine Sache nicht.

Emanzipation statt Liebe

Der Regisseur rückt Violetta in den Fokus, wobei er weniger auf die Liebesgeschichte der Kurtisane mit Alfredo blickt, als die versuchte Emanzipationsgeschichte einer Frau herausarbeitet, die sich ihrem Sterben an Tuberkulose durch die Flucht aus ihrem bisherigen Leben entziehen will. Ihr Siechtum wird von der Halbweltgesellschaft, in der sie sich als Edelprostituierte bewegt, mit sinistrem Pläsier am Leid verfolgt. Die vorgeblich feine Gesellschaft ist hier eine diabolische Societyrotte, bei der hinter jedem Lächeln der Biss der Hyäne lauert.

Petersen zur Seite steht als Bücherwurm Alfredo, dessen Vorstellungen von Liebe einzig aus Romanen kommt, Arturo Chacon-Cruz, der zwar einen nicht übermäßig strahlenden, jedoch in seiner Reduziertheit perfekt zum Regiekonzept passenden Tenor besitzt. Leider forciert er immer wieder ohne Not.

Zur zweiten strahlenden Figur auf der Bühne machte hingegen der Bariton Roberto Frontali Alfredos Vater. Beeindruckend, wie der Italiener diesen eigentlich spröden Antagonisten von der Nebenrolle zur Hauptrolle ausbaut. Mit großem Charisma legt er die menschliche Dimension des besorgten Vaters frei, der Violetta überredet, seinen Sohn zu verlassen, da die Schwester keinen Mann finde, wenn ihr Bruder mit einer Dirne zusammenlebt. Die kleine Schwester lässt Konwitschny dabei leibhaftig auf der Bühne als stumme Rolle erscheinen - eine großartige Lösung für den ansonsten oftmals zu schnellen Stimmungswandel Violettas in dieser Szene.

Vorhang nach Vorhang

All dies verpacken Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker in eine schier unendliche Reihe roter Theatervorhänge, die das Treiben der Gesellschaft verdecken und wie im Zwiebelgleichnis zugleich den Blick freigeben auf den wahren Charakter der Menschen. Aber nicht nur die Bühne hat der Regisseur mit Ausnahme eines Sessels, einiger Bücher und zahlreicher Vorhänge entschlackt - er hat auch das Stück gekürzt. Seine "Traviata" ist entsprechend um eine gute halbe Stunde kürzer als das Original.

Dieses musikalische Kondensat verband Dirigentin Sian Edwards am Pult des RSO vollkommen bruchlos mit dem Purismus der Inszenierung. Ihre stimmige, fast kammermusikalische Interpretation der Partitur changiert zwischen flirrenden Momenten, Konzentration auf die Sänger und keiner Scheu vor dem bewussten Ausbruch.

Am Ende stirbt Violetta alleine auf der großen Bühne - auch ihr Alfredo hat sich über die Konwitschny-typische Brücke in den Zuschauerraum verlassen und betrachtet sie wie das Publikum aus der Distanz. Jeder stirbt für sich allein. Und dabei ist diese "vom Weg Abgekommene" so sehr auf dem richtigen Weg, dass es schlicht beglückt.