So viel Frauenpower wie bei dieser 67. Festivalausgabe gab es in Cannes noch nie. In der neunköpfigen Jury herrscht erstmals eine weibliche Mehrheit und deren Präsidentin Jane Campion ("The Piano") könnte die Damenwahl nutzen, um nicht länger die einzige Regisseurin mit Gold zu bleiben. Was die Japanerin Naomi Kawase mit ihrer Teenager-Liebe "Still Waters" und die Italienerin Alice Rohrwacher mit ihrem Familiendrama "La Meraviglie" präsentierten, waren freilich keine echten Höhepunkte des Festivals - für eine der kleineren Palmen dürfte es allemal reichen.

Die viel größere Sensation: Der chronische Herren-Club von Cannes scheint aufgewacht: Stammten unter den 1800 eingereichten Filmen nur sieben Prozent von Regisseurinnen, liegt die Frauenquote nach der Auswahl in allen Sektionen bei 20 Prozent - historischer Rekord.

Künstlerisch bot dieser Jahrgang eine gehobene Mittelklasse. Nach der verhagelten Eröffnung mit dem dünnen Adelsmärchen "Grace de Monaco" bot Mike Leigh mit seiner Malerbiografie "Mr. Turner" Kunstkino vom Feinsten. Die dicken Minuspunkte für den ganz schwachen Päderasten-Krimi "The Captive" des Kanadiers Atom Egoyan bügelte sein Landsmann David Cronenberg mit seiner stilsicheren Hollywood-Satire "Map to the Stars" wieder aus. Auch der coole Tommy Lee Jones überzeugte mit seinem Frauen-Western "The Homesman" mit einer wunderbaren Hilary Swank.

Weniger Trubel

Als heimlicher Sieger kann in diesem Jahr Wim Wenders gelten. Minutenlange stehende Ovationen gab es für seine eindrucksvolle Dokumentation "The Salt of the Earth" über den meisterhaften brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, der mit seinen Bildern seit 40 Jahren der Menschheit einen Spiegel ihrer Abgründe vorhält. Wenders war öfter in Cannes als jeder andere Regisseur auf dieser Welt. Dass er nicht im Palmen-Rennen startet, sondern in der Nebenreihe "Un Certain Regard", sieht der 68-Jährige völlig gelassen. "Da ist der Trubel nicht so groß", sagte er vorab.