Während die rot-weiß-roten Vertreter vergangener Jahre in den Gastgeberstädten Party machen konnten und nach den Proben Spaß in den Klubs und Bars hatten, ist das für Conchita Wurst unmöglich. Erstens muss sie ja immer top gestylt sein, was Spontanentscheidungen erschwert. Zweitens ist sie sehr diszipliniert und achtet auf sich, verschwindet nach jedem offiziellen Termin sofort in ihrem Zimmer. Drittens kommt sie hier keinen Meter voran, ohne für Foto- und Autogrammwünsche aufgehalten zu werden. Die Aufmerksamkeit, die die Kunstfigur bekommt, überrascht selbst den ORF, der sich langsam zu fürchten beginnt, dass er den Song Contest 2015 in Österreich austragen muss.

Aber am Donnerstag muss die 25-Jährige erst einmal durch das Halbfinale, was jedoch weder Kommentator Andi Knoll noch Contest-Rekordhalter Ralph Siegel (er ist heuer als Komponist für San Marino im Finale) bezweifeln. "Ein perfektes Gesamtkunstwerk", lobt der Deutsche. Knoll verrät: "Die Kommentatorenkollegen begegnen mir heuer anders, obwohl das ja mein 14. Song Contest ist. Sie sprechen mich auf unser Konzept und die Botschaft von Conchita an! Es ist nicht wie früher auf dem Jahrmarkt, dass die Leute bei einer Bartfrau zusammenlaufen und sie bloß begaffen, sie hinterfragen, was sie beim Anblick dieser Figur empfinden. Ich habe das Gefühl, dass die Funktion der Figur, eine Identitätssuche, im Ausland besser verstanden wird als bei uns zu Hause", gesteht Knoll.

Streng zu sich selbst

"Ich will nicht als Freak gesehen werden. Kein Mensch möchte in eine Schublade gesteckt werden. Man kann mich nicht auf einen Begriff reduzieren. Natürlich bin ich auch ein gesellschaftspolitisches Statement", sagt Conchita, "aber gerade aus Russland und dem Osten, wo ich von manchen Sprechern so angefeindet werde, kommen 80 Prozent der Autogrammwünsche." Über die Wetten macht sie sich vor ihren großen drei Minuten keine Gedanken, sie will "von der Bühne gehen und sagen: Ich habe alles gemacht, was ich konnte und wollte! Und ich selbst bin sicher am strengsten mit mir." Angst hat sie nur davor, dass sie ihr bisher größtes Publikum und ein Zwischenapplaus "emotional umwerfen und die gesangliche Qualität beeinträchtigen". Das kann Conchita ja dann auf Tom schieben.