Seine Karriere begann in Wien, anno 1995 drehte Richard Linklater dort "Before Sunrise", eine charmante Lovestory zwischen Ethan Hawke und Julie Delpy, der zwei weitere Fortsetzungen folgten.

Mit "Boyhood" präsentiert der Texaner nun bei der "Berlinale" einen Film, wie es ihn bislang so noch nicht gegeben hat. Er begleitet eine Familie über einen Zeitraum von elf Jahren mit der Kamera und macht den Zuschauer zum Betrachter dieser Lebensläufe. Die Akteure trafen sich alljährlich, um das Projekt fortzusetzen: 39 Drehtage in elf Jahren!

Im Zentrum steht der junge Mason, der vom Schulkind zum 18-jährigen Collegen-Studenten heranwächst. Die Höhen und Tiefen der Pubertät in Echtzeit - ein grandioser Stoff. Die alleinerziehende Mutter spielt Patricia Arquette, den getrennt lebenden Vater gibt Ethan Hawke. Derweil als Film-Tochter mit Lorelei Linklater die achtjährige Tochter des Regisseurs auftritt.

Wie üblich erwiest sich Linklater als Meister exzellenter Dialoge der philosophischen Art. "Ich dachte, es gäbe mehr für mich im Leben", klagt etwa die Mutter, als die beiden Kinder aus dem Haus sind. Selbst Seitenhiebe auf die NSA fehlen nicht. Ebenso klug wie komisch, so gefühlvoll wie unsentimental lässt "Boyhood" am Leben einer Familie teilhaben, die durch ihre Wiedererkennungseffekte einen ganz besonderen Charme entwickelt. Selten fielen fast drei Stunden auf der Leinwand derart kurzweilig aus. Fast undenkbar, dass dieses Meisterwerk morgen nicht mit dem Goldenen Bären belohnt wird.

Während Richard Linklater geradezu Filmgeschichte geschrieben hat, blieben viele der Beiträge in diesem Festivaljahrgang mittelmäßig und blass. Die meisten werden nach Ende dieser 64. Berlinale schnell vergessen sein. Noch völlig offen ist, wie Österreich abschneiden wird. Das Asyldrama "Macondo" von Sudabeh Mortezai geht erst heute an den Start - in der Festivaldramaturgie gilt dieser letzte Platz im Programmplan immerhin als vielversprechend.

Sudan aus der Luft

Schon Mittwochabend zeigte Hubert Sauper in einem Berlinale-Special seine bei Robert Redfords Sundance Film Festival uraufgeführte Dokumentation "We Come as Friends". Der 47-Jährige in einem von ihm mitkonstruierten winzigen Flugzeug, einer Art "Smart der Lüfte", durch den Süd-Sudan gereist und hat mit den Menschen gesprochen: mit Warlords, UN-Beamten, Menschen, die von ihren angestammten Siedlungsplätzen vertrieben werden, Teilnehmern eines Investorengipfels für den Süd-Sudan, die die neuerliche Landnahme als "Win-Win-Situation verkaufen. Doch wenn der Wind neben Sand auch Unmengen von Müll über den trockenen Boden wirbelt, kommt angesichts solch trüber Bilder Hoffnungslosigkeit für einen ganzen Kontinent auf.

Der in Kitzbühel geborene, in Kärnten aufgewachsene Regisseur, der 2006 mit "Darwin's Nightmare" für einen Oscar in der Kategorie "bester Dokumentarfilm" nominiert war, nimmt im Film nicht offen Partei, zeigt aber: Der Kolonialismus in Afrika ist noch keineswegs zu Ende.

"Das war der zerstörende Moment", sagte Sauper nach der Vorführung, die den Festivalgästen viel zum Nachdenken gab: "Alles, was an Korruption und Prostitution heute den Kontinent beschäftigt, hat mit dem ersten Händedruck begonnen." Dem Händedruck zwischen weißem und schwarzem Mann.