"Es gibt Sachen, über die darf man nicht reden. Aber dass man nicht über sie reden darf, heißt nicht, dass man's je vergessen kann", so unheilschwanger gibt eine Mädchenstimme gleich zu Beginn die Richtung dieser Geschichte vor. Düstere Geheimnisse umgeben das abgelegene Alpenhochtal, in dem Ende des 19. Jahrhunderts der Brenner-Bauer und seine sechs Söhne das Sagen haben. Kurz bevor die winterlichen Schneemassen das Dorf völlig von der Außenwelt abschneiden, trifft ein Fremder auf seinem Pferd ein. Bald erschüttern Todesfälle das Dorf. Einer der Brenner-Söhne kommt bei der Waldarbeit ums Leben, ein anderer kehrt von der Jagd nicht mehr zurück. Der schweigsame Fremdehat alte Rechnungen zu begleichen - Leichen pflastern seinen Weg, bis in den Beichtstuhl!

Mit archaisch anmutenden Bildern zelebriert Andreas Prochaska Schneewestern "Das finstere Tal" die unwirtliche Landschaft im winterlichen Alpental und lässt seine Akteure durch Schlamm und Schnee stapfen. Wie es sich für Western und Heimatfilm gehört sind Gut und Böse schnörkellos verteilt und werden hier exzellent dargeboten. Tobias Moretti spielt seinen fiesen Bösewicht bis zum Anschlag. Paula Beer mimt die naive Braut. Und Sam Riley wandelt als wortkarger Einzelgänger mit unangestrengter Coolness in den "Pale Rider"-Spuren von Clint Eastwood: Gnadenlos bei seinen Gegnern, charmant bei den Damen.

Andreas Prochaska zählt hierzulande zu künstlerisch und kommerziell erfolgreichsten Regisseuren, sattelfest in unterschiedlichsten Genres. Mit dem Horror-Thriller "In drei Tagen bist du tot" gelang ihm 2006 Österreichs besucherstärkster Kinofilm, vier Jahre später wiederholte er den Coup mit der Komödie "Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott". Für sein TV-Drama "Das Wunder von Kärnten" bekam er jüngst den Emmy, für "Das finstere Tal" gab es bereits den Bayrischen Filmpreis.

Diese Erfolgsstory wird auf der Berlinale leider nicht fortgeschrieben werden. Sein meisterhaftes Rache-Drama, das den Vergleich mit Sergio Corbucci kaum zu scheuen braucht, durfte nicht im Rennen um den Bären teilnehmen, sondern startet lediglich in der Nebenreihe "Special". Kleiner Trost: Dort ging er gemeinsam mit dem zehnfachen Oscar-Kandidaten "American Hustle" an den Start. Sam Riley dürfte die entgangene Bären-Chance gleichfalls verkraften: Seine Ehefrau Anna Maria-Lara, bei der "Rush"-Premiere noch hochschwanger, hat kurz vor dem Festival ihr erstes Kind geboren.

ORF sprang ein

Insgesamt punktet diese Berlinale bisher eher mit Filmen abseits des Wettbewerbs: Während dort zuletzt Dietrich Brüggemann in seinem Film "Kreuzweg" die Opfergeschichte einer Halbwüchsigen in strenge Bilder kleidete und Benjamin Naishtats Debüt "Historia del Miedo" eine "Geschichte der Angst" anhand der Reichen und ihrer Dienstboten in einer "Gated Community" auszelebrierte, wurde Lars von Triers 145 Minuten langer "Director's Cut" seines Kino-Epos "Nymphomaniac Volume I" frenetisch gefeiert. Der für seine expliziten Sexszenen vorab viel beraunte Film mit Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgard, Uma Thurman läuft in Berlin außer Konkurrenz.

In der Reihe "Panorama" sorgte derweil die Doku "Der Anständige" für Furore: Regisseurin Vanessa Lapa kombinierte dafür filmisches Archivmaterial mit dem jüngst durch die Medien gegangenen Briefverkehr von SS-Führer Heinrich Himmler - gelesen unter anderem von Tobias Moretti und Sophie Rois. Kein deutscher Sender wagte die Finanzierung des TV-Projekts. Der ORF sprang ein und hat nun die Rechte auf die Erstausstrahlung des viel beklatschten Films. Die wurde von Februar auf Herbst verschoben - aufgrund des weltweiten Interesses ist vorher ein US-Kinostart geplant.