Als das Leopold-Museum im Jahr 2009 Josef Maria Auchentaller eine Ausstellung widmete, war der Secessionist nahezu vergessen. Dabei war er einer jener Künstler, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblichen Anteil an der Wiener Kunstrevolution hatten. Auchentaller hat an den um 1900 organisierten Secessionsausstellungen mitgewirkt, 1902 etwa schuf er den Fries "Freude schöner Götterfunken", der dem Beethovenfries von Gustav Klimt gegenüberstand. Im Jahr 1903 übersiedelte er mit seiner Familie nach Grado, wo seine Frau Emma mit bemerkenswertem Unternehmergeist die "Pension Fortino" führte. Diese Übersiedelung isolierte ihn aber auch vom Wiener Kulturleben. Egyd Gstättner spürt in seinem neuen Künstlerroman "Das Geisterschiff" diesem großen Unbekannten nach .

Haben Sie die Ausstellung im Leopold-Museum gesehen?

EGYD GSTÄTTNER: Ja klar. Damals bin ich staunend vor den "Tönenden Glocken" gestanden und habe gedacht: ein Jahrhundertwerk. Warum ist das nicht genauso berühmt wie der "Kuss" oder die "Goldene Adele"? Tage später ist mir eingefallen, dass mir ein gewisser Auchentaller schon vor vielen, vielen Jahren einmal so ganz nebenbei untergekommen war. Aber wo bloß? Ach ja, in Grado, in Form einer hübschen Kunstpostkarte bzw. ihrer Signatur . . . so hat es begonnen.

Wie viel "Wahrheitsgehalt" steckt im "Geisterschiff"?

GSTÄTTNER: Das Motto eines Filmes über Sigmund Freud und Gustav Mahler und ihr (reales) Zusammentreffen im holländischen Leiden lautete: "Dass es passiert ist, ist verbürgt. Wie es passiert ist, haben wir erfunden." Das könnte auch über dem Geisterschiff stehen. Nur so viel: Was ich erfunden habe, habe ich immer genau an einer Bruchlinie der Realität erfunden.

Wie haben Sie recherchiert?

GSTÄTTNER: Ich musste viel recherchieren: einmal, bis ich die Geschichte, die ich erzählen wollte, mit ihrem Personal, ihren Schauplätzen klar vor mir sah. Ein zweites Mal, um ihre Komposition festzusetzen. Wie erzähle ich ein 84 Jahre dauerndes Leben auf 300 Seiten? Und aus welcher Perspektive erzähle ich sie? In einem Kunstwerk muss ja alles funkeln, alles muss sich spiegeln, alles muss symbolisch und übertragbar sein. Wenn ich allein an die verschiedenen Bedeutungsvarianten des Wortes "Geist" denke! Vom "Geistesmenschen" - also Intellektuellen - über den Spiritisten und den Geisterfahrer bis zum Gespenst. Ebenso ist es dann im Wort "Geisterschiff" - alle kommen da als Passagiere mit.

Hätten Sie selbst gerne Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt? Und Menschen wie den Kulturphilosophen, Kritiker und Kabarettisten Egon Friedell kennengelernt?

GSTÄTTNER: Egon Friedell ist mir wichtig, den halte ich für einen der größten österreichischen Geister überhaupt. Vorhalten muss ich ihm einzig seine affirmative Haltung zum Ersten Weltkrieg, aber da haben sich viele infiziert. Wenn Friedell Vorträge über Nestroy hielt und sagte, dieser hätte es sattgehabt, "den Leuten den Wurstel zu machen", sprach er sicher auch über sich. Es ist dasselbe, wenn ich über Friedell rede. Ich glaube, es gibt da eine Linie, eine Nationalwurstellinie sozusagen. Nestroy ist am 25. Mai 1862 gestorben, ich am 25. Mai 1962 geboren, in den Zwischenraum gefallen ist Friedell.

Wenn Sie über die Weltwirtschaftskrise in den 1920ern schreiben, hat man das Gefühl, die Geschichte wiederholt sich.

GSTÄTTNER: Ja. Sie wiederholt sich in verschiedensten Facetten: Auch die Gleichzeitigkeit von Aufbruchstimmung und Abbruchstimmung an den Jahrhundertanfängen ist auffällig: die manisch-depressive Gesellschaft und ihr autistisches Management. Je mehr ich in die Materie eintauchte, desto mehr Parallelen traten zutage. Und was die Banken- und die Wirtschaftskrise angeht: Vor allem waren da entscheidende Parallelen des Dubiosen, Verdächtigen und Unverschämten des Establishments.

Auchentaller war ein Pionier der Werbeplakate. Haben Sie je überlegt, in die Werbung zu gehen? Gute Texter sind da ja sehr gefragt.

GSTÄTTNER: Gott bewahre, nein. So etwas habe ich nie gemacht und werde ich nie tun. Werbung ist ja gepflegte Verlogenheit. Das empfände ich als ersten Schritt zur Prostitution. Wir haben die eine oder andere gemeinsame Menge, aber ich bin nicht Auchentaller.