Ihre jüngste CD enthält nur Musik von Giuseppe Verdi. Haben Sie sich in seine Musik verliebt? ANNA NETREBKO: Ich denke, wir alle lieben Verdi schon seit unserer Kindheit. Kurz, nachdem ich mich entschlossen hatte, Opernsängerin zu werden, sang ich schon Verdi. Er verlangt eine perfekte Stimmtechnik, während der Verismo die Stimmen zerstört.

International feierten Sie Ihre Triumphe als Verdi-Sängerin vor allem mit "La Traviata". NETREBKO: Außer der Violetta habe ich bisher auch oft die Gilda im "Rigoletto" und die Nanetta im "Falstaff" gesungen.

Das sind nicht sehr viele Partien. NETREBKO: Erstaunlich, ja, aber jetzt stehen in einem Jahr gleich drei Rollendebüts bevor.

Wie kam es denn zu Ihrem Rollendebüt als "Giovanna d'Arco", das Sie jetzt bei den Salzburger Festspielen gegeben haben? NETREBKO: Diese Oper habe ich gar nicht gekannt. Aber Alexander Pereira hat mir gesagt, die Partie sei perfekt für meine Stimme und er möchte "Giovanna d'Arco" deshalb mit mir aufführen.

Renata Tebaldi hat diese doch recht dramatische Rolle mit einem lyrischen Ansatz gesungen. NETREBKO: Das ist ein Zugang, der meinen Intentionen sehr nahe kommt. Die "Giovanna d'Arco" ist für mich im Moment perfekt, sie hat viel Energie und viele Höhen und ähnelt darin der Gilda, verlangt aber mehr Durchhaltevermögen. Sie ist nicht zu schwer und hat einige schöne lyrische Passagen. Diese Rolle ist für mich die richtige Vorbereitung für "Trovatore" und "Macbeth".

Wie charakterisieren Sie Verdis Jungfrau von Orleans? NETREBKO: Sie ist eine Kämpferin, und das kommt mir persönlich sehr nahe. Die Opernheldin ist aber sehr weit von der historischen Wahrheit entfernt. Die historische Figur ist natürlich fantastisch.

In Salzburg singen Sie die "Giovanna d'Arco" in drei konzertanten Aufführungen. Wollen Sie sie auch in einer Inszenierung verkörpern? NETREBKO: Eine szenische Produktion kann ich mir nicht vorstellen, aber es gibt Gespräche darüber, diese Konzerte in vielen Städten zu veranstalten.

Ihre nächste Verdi-Rolle wird die Leonora in "Il Trovatore", die Sie im November erstmals an der Berliner Staatsoper singen werden. Gefällt Ihnen die Comic-Inszenierung von Philipp Stölzl, die heuer bei den Wiener Festwochen Premiere hatte? NETREBKO: Ich liebe sie, aber man wird die Konzeption deshalb ein wenig ändern müssen, weil ich viel größer als die in Wien engagierte Kollegin bin. Das Kostüm ist in Ordnung und erinnert mich an "Alice im Wunderland". In einer Neuproduktion singe ich die Leonora dann bei den Salzburger Festspielen.

Auch Martin Kusejs Inszenierung von Verdis "Macbeth", in der Sie im Juni 2014 in München Ihr Rollendebüt als Lady geben werden, ist nicht eben konventionell. NETREBKO: Nein, ich habe sie gesehen. Sie ist sehr modern, zeitlich nicht fixiert.

Ist die Lady eine starke oder eine böse Frau? NETREBKO: Stark und böse ist Macbeth, nicht die Lady. Sie pusht ihn natürlich, weil sie ihn liebt und auch sexuelle Macht über ihn hat. Aber sie ist die Schwächste. Nur er konnte den Mord am König begehen.

Die Lady wird Ihre bislang dramatischste Rolle sein. NETREBKO: Ja, sie wird deshalb auch von den großen Stimmen oder von Mezzosopranen gesungen - aber sie muss auch Koloraturen bewältigen. Als ich gerade "Anna Bolena" sang, hatte ich bei deren letzter Cabaletta die verrückte Idee, die Lady zu übernehmen. Seltsamerweise fielen mir ihre Arien bei den Aufnahmen für die neue CD am leichtesten. Arbeiten muss ich aber noch am tiefen Register. Die größte Schwierigkeit bereitete mir die letzte Szene, die Wahnsinnsszene, für die ich lange nicht die richtige Stimmfarbe finden konnte, und zwar absolut nicht die von "Lucia di Lammermoor".

Werden Sie die Lady nur bei den Münchner Opernfestspielen singen? NETREBKO: Nein, ich habe dafür auch schon einen Vertrag mit der Metropolitan Opera in New York.

Welche Arie auf Ihrer Verdi-CD war die größte Herausforderung für Sie? NETREBKO: Eindeutig die letzte Arie der Elisabetta aus dem "Don Carlo". Ich glaube, die Rolle darf nicht zu lyrisch gesungen werden, sondern verlangt eine große, dramatische Stimme. Im Moment wäre ich nicht in der Lage, diese Partie auf der Bühne zu singen. Die Lady im "Macbeth" hat hingegen kein großes Orchester und viele hohe Noten, wesentlich mehr als tiefe, die man mit sehr böser Farbe singen kann - das geht bei Elisabetta nicht. Bei ihr muss alles weich und farbenreich sein.

Interessiert Sie die Desdemona in Verdis "Otello"? NETREBKO: Nein, niemals, obwohl ich schon vor zehn Jahren die erste Anfrage dafür erhalten habe. Das ist nicht meine Rolle.

Bereiten Sie neben Ihren drei neuen Verdi-Partien noch weitere Rollendebüts vor? NETREBKO: 2014 singe ich erstmals die Margarethe in Charles Gounods "Faust" in London, Wien und Baden-Baden. Das ist keine schwierige Aufgabe.

Steigen Sie mit Ihren neuen Rollen in das dramatische Fach um? NETREBKO: Ja, deshalb kommt auch Puccinis "Manon Lescaut" neu in mein Repertoire, eine Rolle, bei der ich mich sehr wohl fühle, weil jetzt mein mittleres Register eine Kraft hat, die ich früher nicht besessen habe. Ich werde sie erstmals mit Riccardo Muti in Rom singen. Etwas später folgt dann Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur".

Von Koloraturrollen wie der Elvira in Vincenzo Bellinis "I Puritani" nehmen Sie dafür Abschied? NETREBKO: Ja, das war für mich eine extreme Herausforderung, denn ich war nie ein leichter Koloratursopran, eigentlich habe ich überhaupt keine Koloraturen in meiner Stimme.

Ihre letzte Arien-CD erschien vor fünf Jahren. Müssen wir nach dem Verdi-Album wieder so lange auf das nächste Recital warten? NETREBKO: Nein, aber es dauert eben, bis man von der Susanna in Mozarts "Hochzeit des Figaro", die ich 2006 in Salzburg gesungen habe, oder den "Puritani" bis zur Lady Macbeth vordringt.

Wann kommt Ihre erste Elsa in Richard Wagners "Lohengrin"? NETREBKO: Das ist in Dresden mit Christian Thielemann für 2016 geplant.

Ist das Ihre erste deutsche Rolle? NETREBKO: Nächstes Jahr nehme ich mit Daniel Barenboim in Berlin die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss auf.