Die Erwartungen waren enorm. Eine halbe Stunde vor Beginn der Pressevorstellung von "Paradies: Hoffnung", dem letzten Teil von Ulrich Seidls Trilogie, war das Kino voll. Immerhin hatte es der Vorgänger "Paradies: Glaube" in Venedig zum Skandälchen gebracht, weil sich ein Zuschauer in seiner religiösen Ehre gekränkt fühlte und Anzeige erstattete. Abschließend wird nun von einer Gruppe übergewichtiger Teenager erzählt, die in einem Diätcamp abnehmen sollen, darunter die 13-jährige Melanie (Melanie Lenz). "Disziplin ist alles", schüchtert ein autoritärer Sportlehrer die Kinder gleich zum Auftakt ein, auch der Arzt und Anstaltsleiter wirkt sofort dubios. Auf Melanie hat er es besonders abgesehen. Anfangs subtil, dann immer offensichtlicher bedrängt er sie. Und das Mädchen verliebt sich in den 40 Jahre älteren Arzt. Mit beklemmender Intensität deutet Seidl das Thema Kindesmissbrauch an. Wie üblich findet er grandiose Bilder von enormer Schlichtheit; und doch ist hier vieles auserzählt, wirkt in seiner Wiederholung ermüdend. Gravierender ist, wie er die Minderjährigen in ihrer körperlichen Unbeholfenheit vorführt. Wenn erwachsene Frauen wie in "Paradies: Liebe" ihre Körper ausstellen, ist das ihre Entscheidung. Ob Teenager die Konsequenzen solcher Darstellung überblicken, kann bezweifelt werden. Beim Abspann regten sich nur drei, vier Hände zum Applaus.

Auf mehr Beifall kann "Promised Land" von Gus van Sant hoffen. Das Thema Fracking, die Erdgasgewinnung mit giftiger Chemie, ist hochaktuell. Matt Damon, der auch das Drehbuch schrieb, gibt den Konzernvertreter, der den Farmern ihr Land abschwatzt. Doch das Drama kommt denkbar brav und konventionell daher. Wie beim Schwulendrama "Milk" hat Meisterregisseur van Sant sein künstlerisches Genie dem politischen Ziel der Aufklärung geopfert.

Einen Achtungserfolg im Berlinale-Forum landete am Freitag auch die junge Österreicherin Anja Salomonowitz mit ihrer Doku "Die 727 Tage ohne Karamo". Streng stilisiert beschreibt sie die Auswirkungen des österreichischen Fremdenrechts auf transnationale Beziehungen.