Wir kennen ihn alle, den berühmten Gewandsessel oder die Gewandcouch oder das Gewandkastl, wo man alles fein säuberlich drauflegt, aus dem man gerade rausgestiegen ist. Man kann sich selber noch drinnen sehen, die eigenen Umrisse erkennen, die Ausbuchtungen und körperlichen Eigenheiten, die sich vom eigenen Körper physisch auf das Kleidungsstück übertragen haben. Es ist mehr als nur ein Hauch von uns selbst, den wir hier wahrnehmen. Das zeigt sich eindringlich, wenn man vor zwei solcher „Gewandsessel“ steht, geschützt durch einen Glaskubus. Das, was hier drapiert ist, ist nicht irgendein Gewand, sondern Kleidung, die von Tilda Swinton und Charlotte Rampling getragen wurde. Die Aura der Personen überträgt sich automatisch auf die Kleidung. „Das verkörperte Kleidungsstück“ nennt das Kuratorenduo Olivier Saillard und Emanuele Coccia das Kapitel ihrer Ausstellung, in der die „Kleiderspenden“ von Swinton und Rampling – weiße Bluse, schwarze Hose und ein schwarzer Anzug – zu sehen sind.
In der Schau „Die vielen Leben eines Kleidungsstücks“ im Modemuseum in Triest geht es nicht um Produktionsprozesse, sondern um die vielen Rollen, in die Kleidung schlüpfen kann. Viele Rollen, deren Bedeutung uns im Alltag nur wenig bewusst ist, aber einige davon viel mit uns und unserer Persönlichkeit zu tun haben. Da wäre etwa unser Kleiderschrank, aus dem wir, Kuratoren nicht unähnlich, unsere ganz eigene tägliche Show inszenieren.
Kleidung ist eine kulturelle Praxis und ein Kommunikationstool nach außen: Welche Kleidung trägt man, folgt man einem Trend, will man eine Botschaft vermitteln und wenn ja, welche? Das, was man trägt, ist nicht nur physisch eng mit einem verbunden. Gemeinsam geht man kurze, lange oder manchmal sogar lebenslange Wege. In ihnen konserviert sind Lebensphasen, Erlebnisse, Erinnerungen. Kurator Olivier Saillard, der 2021 gemeinsam mit Tilda Swinton in der Performance „Embodying Pasolini“ historische Filmkostüme aus Werken von Pier Paolo Pasolini neu interpretiert hat, hat sich ein textiles Tagebuch seines Lebens geschaffen. Ausgewählte Stoffproben erinnern ihn auch an Begegnungen: Da wäre ein Poloshirt, das ihn automatisch in das 1997 katapultiert, dem Jahr, in dem er seinen Partner kennengelernt hat. Untrennbar mit dem Shirt verbunden: der Sommer, die Sonne, die Musik von Massive Attack, Daft Punk und ein sinnlicher Abend in Marseille. Die Bezeichnung „Preloved Fashion“ für Vintagekleidung war nie stimmiger.
Die Liebe zur Mode, das kann man Museumsgründerin Barbara Franchin nicht absprechen, und doch geht es hier vor allem um einen wissenschaftlichen, sammlerischen Ansatz. Das im Vorjahr eröffnete Modemuseum ist nicht nur ein Ort für wechselnde Ausstellungen zum Thema Mode, sondern jener Ort, an dem knapp 15.000 Portfolios gelagert und zum Teil ausgestellt werden.
Es sind Einreichungen von Absolventinnen und Absolventen diverser Mode- und Kunsthochschulen, die am Wettbewerb International Talent Support (ITS) teilnehmen. 2002 von Franchin ins Leben gerufen, haben auch schon heutige Designgrößen wie Richard Quinn und Matthieu Blazy, aktueller Kreativdirektor von Bottega Veneta, am Beginn ihrer Karriere teilgenommen. Nicht zu vergessen Demna Gvasalia, der im Jahr 2005 mitgemacht hat. Der Georgier hat als Kreativdirektor von Balenciaga der Marke in den letzten Jahren einen enormen Popularitätsschub gebracht. Der Modewettbewerb ist eine offene Spielwiese für angehende Designerinnen und Designer, die hier frei von ökonomischen Parametern der Modeindustrie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.
Die ebenfalls derzeit gezeigte Ausstellung „Born to Create“ versammelt eine Auswahl von Entwürfen des ITS Contest 2023/24. Eine fabelhafte Werkschau, die aufstrebende Talente von China über Japan und Deutschland bis Israel versammelt. Futuristisch, nachhaltig, feministisch, politisch, anspruchsvoll in der Handarbeit – ein direktes Fenster in zukünftige Modevisionen. Der Blick zurück, empfiehlt sich auch noch: Im Archiv lagern hier über 1000 Kleidungsstücke, Accessoires, Schmuck und 700 Fotoprojekte – eine wechselnde Auswahl ist direkt im Magazin zu bewundern.