Eine gewisse Ironie lässt sich nicht verkennen. Das Vermächtnis des rebellischen New Hollywood der 60er- und 70er-Jahre motivierte die junge Nia DaCosta selbst Filmemacherin zu werden. Vor allem Martin Scorsese hatte es ihr angetan, sodass sie sich sogar an seiner Uni in New York einschrieb. Heute ist Scorsese einer der schärfsten Kritiker der aktuellen Kinolandschaft, die sich um Superheldenfilme dreht. Nun hat DaCosta ausgerechnet mit „The Marvels“, der Fortsetzung des 2019-Hits „Captain Marvel“, selber einen Superheldenfilm gedreht.

Von einer Schülerin, die sich von ihrem Meister abwendet, kann hier aber nicht die Rede sein. Die 1989 in New York geborene und aufgewachsene DaCosta war schon in jungen Jahren ein großer Comic-Fan. Das Marvel Cinematic Universe ist ihr nicht fremd. „Ich war stets ein Fan und habe die Entwicklung des MCU beobachtet,“ erzählt sie im Interview mit der Kleinen Zeitung. „Ich habe auch einige Freunde, die in diesem Universum aktiv sind. Es fühlte sich einfach wie ein gutes Arbeitsumfeld an. Außerdem freute sich meine Nerd-Seite, etwas zum Kanon beitragen zu können.“

Dass DaCosta beinahe Autorin geworden wäre, schlägt sich auch in ihren Filmen nieder, für die sie stets selbst das Drehbuch schreibt. Ihr Spielfilmdebüt von 2018, „Little Woods“, wurde beim Tribeca Film Festival von der Presse gefeiert, und erhielt den Nora-Ephron-Preis für exzellentes Geschichtenerzählen. Der Erfolg machte Jordan Peele auf sie aufmerksam und ihr wurde die Regie für ein Remake des Horrorklassikers „Candyman“ verantwortet. Der Erfolg des Films machte DaCosta zur ersten afroamerikanischen Regisseurin, die einen Nummer-eins-Hit in den Kinocharts hatte.

„The Marvels“ ist DaCostas dritter Spielfilm. Eine besondere Herausforderung, sie musste an eine seit 2008 bestehende Filmreihe anknüpfen. „Das war eine Menge Hausaufgaben, obwohl ich mit dem MCU wirklich vertraut bin und jeden Film gesehen habe, manchen sogar mehrmals“, erinnert sie sich. Mit Ms. Marvel sieht sie sogar eine besondere Verbindung. „Sie und ich sind uns sehr ähnlich. Zumindest, als ich in ihrem Alter war. Women of Colour, die wirklich große Nerds sind und Fan-Fiction schreiben.“ Die Superheldin, gespielt von Iman Vellani, sind ein Highlight des Films.

Doch einfach war die Produktion nicht, auch wenn sich DaCosta im Gespräch nichts anmerken lässt. Sie übernahm in einem kritischen Moment die Regie, als eine Superheldenmüdigkeit unter den Zusehern spürbar war. Dem MCU fehlt seit Jahren ein stringenter Handlungsbogen, Disney+ quillt über mit Serien, deren Qualität sukzessive nachlässt.

Auch bei „The Marvels” war das spürbar. Gerade einmal 116,5 Millionen Dollar hat der Film bisher eingespielt. Weltweit. Vier Wochen Nachdrehen und ein Testscreening sprachen auch nicht für den Film. Zudem verabschiedete sich DaCosta während der Nachproduktion Richtung London, um an ihrem Film „Hedda“, einem Drama basierend auf Henrik Ibens „Hedda Gabler“, zu arbeiten.

Sie will sich filmisch nicht in ein Eck drängen lassen: „Ich mag Abwechslung. Ich mag es, wenn es mich in die entgegengesetzte Richtung von dem zieht, woran ich gerade arbeite. Ich hoffe, dass ich mir eine Karriere aufbauen kann, die sich nicht nur auf eine Art von Film beschränkt, und dass ich zwischen den Genres hin- und herwechsle und einfach Geschichten erzählen kann, die ich spannend finde.“

Und auch wenn „The Marvels“ nicht der Kassenerfolg ist, den viele sich erhofft hatten, glaubt sie nicht, dass die Zeit der Superhelden vorbei ist. „Die Leute finden neue Wege, um das Genre voranzubringen.“

Superheldinnen  | Von links: Iman Vellani als Ms. Marvel, Brie Larson als Captain Marvel, and Teyonah Parris als Captain Monica Rambeau
Superheldinnen
| Von links: Iman Vellani als Ms. Marvel, Brie Larson als Captain Marvel, and Teyonah Parris als Captain Monica Rambeau © AP / Laura Radford