Gegenwärtig gibt es keinen Web-Auftritt von Ihnen, Herr Steinhauer, habe ich bei der Vorbereitung für dieses Interview erfahren müssen. Warum denn nicht?
ERWIN STEINHAUER: Na, weil es viel Arbeit ist! Ich hab kein Büro hinter mir und müsste das jedes Mal selbst machen. Danke, nicht mit mir. Für so etwas hab ich keine Zeit.

Aber Sie haben gesagt, dass Sie Pensionist sind, also ­hätten Sie doch Zeit.
STEINHAUER: Nein, ich muss spazieren gehen, ich muss mich um mein Leben kümmern, ich habe Kinder und Enkelkinder. Also keine Zeit!

Aber Sie müssen auch weiter arbeiten.
STEINHAUER: Das ja, weil mit der Pension alleine käme ich nicht sehr weit.

Meine Herren, wir sind schon mitten im Thema. Ich möchte mit Ihnen beiden über das Thema Arbeit sprechen. Was bedeutet für Sie beide – Vater und Sohn, also zwei Generationen – Arbeit? Ist sie nur Broterwerb oder auch Sinngebung und Selbstbestätigung? Das Interview erscheint übrigens am 1. Mai. Wissen Sie schon, was Sie an diesem Tag, dem „Tag der Arbeit“, tun werden?
STEINHAUER: Ja, ich weiß es: Ich sitz im Auto und fahr ins Friaul. Ich arbeite gerade an einem neuen Musikprogramm, und es ist immer gut, dafür die gewohnte Umgebung zu ändern, weil man dann andere Inspirationen bekommt.

Matthias Stein: "Zum Beruf des Schauspielers gehört auch eine gewisse kriminelle Energie dazu."
Matthias Stein: "Zum Beruf des Schauspielers gehört auch eine gewisse kriminelle Energie dazu." © (c) FUCHS JUERGEN

Herr Stein, was werden Sie tun am „Tag der Arbeit“?
MATTHIAS FRANZ STEIN: So genau weiß ich das noch nicht. Im Moment bin ich mit Proben zum Stück „Magic Afternoon“ von Wolfgang Bauer beschäftigt. Das passt übrigens gut zum Interview.

Inwiefern?
STEIN: Na ja, das Stück behandelt ja die 68er-Generation. Und da geht es darum, dass die Werte der Elterngeneration infrage gestellt werden – auch deren Arbeitsmoral. In diesem Stück wird das Nichtstun gefeiert. Aber irgendwann mündet das Ganze in Gewalt, weil den jungen Leuten so fad ist im Schädl. Das kann ja auch passieren, dass durch Langeweile und Nichtstun Destruktivität entsteht. Das Gegenteil davon, also das Tun, die Arbeit, müsste man erst einmal definieren. Ich glaube nämlich, dass meine Arbeit im herkömmlichen Sinn gar keine Arbeit ist.

Sie meinen also, dass das, was jemand wie Sie – ein Schauspieler und Kabarettist  – tut, keine Arbeit ist?
STEIN: Wenn man es damit vergleicht, was zum Beispiel eine Kassierin in einem Supermarkt tut bzw. tun muss, dann nicht. Ich glaube nicht, dass es eine leidenschaftliche Supermarkt-Kassierin gibt. Denn sobald Leidenschaft ins Spiel kommt, empfindet man das Tun nicht mehr oder zumindest nicht ausschließlich als Arbeit.

Wir sprechen jetzt von Arbeit als reinem Broterwerb.
STEIN: Na ja, nicht unbedingt. Ein Tischler arbeitet auch für den Broterwerb, aber bei ihm kann Leidenschaft dahinterstecken und er kann in seiner Arbeit aufgehen.
STEINHAUER: Ja, Handwerk ist etwas anderes, da kann große Leidenschaft damit verbunden sein. Mit einem Stück Holz, einem Stück Leder, einem Stück Stoff.

Wie empfinden Sie Ihre Tätigkeit, Herr Steinhauer?
STEINHAUER: Ich habe es nie als Arbeit empfunden – vor allem in jungen Jahren nicht.

Erwin Steinhauer:"In unserem Beruf haben wir die große Chance, in andere Persönlich­keiten zu entfliehen."
Erwin Steinhauer:"In unserem Beruf haben wir die große Chance, in andere Persönlich­keiten zu entfliehen." © (c) FUCHS JUERGEN

Obwohl auch Ihre Tätigkeit mit Anstrengung verbunden ist.
STEINHAUER: Nein! So habe ich das nie empfunden. Der Wunsch, zum Theater zu gehen, war bei mir schon als Kind da. Und als ich dann meinen Weg gegangen bin und alles zur Seite geräumt hatte, was nicht zu diesem Beruf gehört, zum Beispiel mein Studium, habe ich das gemacht, was ich immer schon machen wollte. Deshalb habe ich dieses Tun, dieses Berufstun, nie als Arbeit empfunden. Im Alter dann, das muss ich schon einräumen, kam die Anstrengung dazu. Da fragt man sich schon: Schaff ich das, sechs Tage in der Woche produzieren und zusätzlich noch Vorstellungen? Da kommt dann schön langsam das Gefühl der Arbeit hinzu. Wenn ich es aber gerne mache, wird diese Anstrengung, diese Mühe, wieder gemildert.

Dieses Altersgefühl der Anstrengung fällt bei Ihnen noch weg, Herr Stein.
STEIN: Das fällt noch weitgehend weg, ja. Aber auch bei mir ist es so: Wenn ich zu viele Vorstellungen habe, fehlt die Energie. Und wenn die Energie schwindet, schwindet der Spaß, die Begeisterung, die Leidenschaft.
STEINHAUER: Matthias, welcher dieser beiden Sätze ist für dich richtiger: „Ich lebe, um zu arbeiten.“ Oder: „Ich arbeite, um zu leben.“?
STEIN: Im Prinzip natürlich der erste Satz. Ich lebe, um zu arbeiten. Aber ich kann auch etwas mit dem zweiten Satz anfangen, denn es hat schon Aufträge, Engagements gegeben, die ich nicht angenommen hätte, wenn ich nicht das Geld gebraucht hätte.
STEINHAUER: Ja, das kenne ich auch. Aber grundsätzlich hat für mich der erste Satz Gültigkeit. Ich lebe, um meine Tätigkeit machen zu können. Und ich bin nur dann ausgefüllt, wenn ich meine Arbeit nicht als Arbeit, sondern als Erfüllung empfinde.
STEIN: Das verstehe ich gut. Aber was mich an dieser Einstellung stört, ist, dass das Leben für mich mehr als Arbeit ist – und mag sie noch so erfüllend sein. Andererseits kenne ich diesen Zustand: Ich habe nichts zu tun, sitze da und frage mich: Was soll ich jetzt mit mir anfangen?
STEINHAUER: Mein lieber Matthias, das ist ein Schauspielerproblem!

Ist das so?
STEINHAUER: Ja, unbedingt.
STEIN: Darf ich erklären, ­warum das so ist? Weil wir nämlich so tun, als würden wir leben. Unsere Arbeit, nennen wir es einmal so, besteht ja darin, dass wir Wirklichkeiten bauen und nachmachen. Damit verbringen wir einen Großteil unserer Zeit. Wir leben also die meiste Zeit nicht, sondern spielen das Leben. Und wenn wir dann, wenn wir als Schauspieler einmal keine Arbeit haben, das wirkliche Leben leben müssen, dann fällt es manchmal schwer, dieses echte Leben wiederzuentdecken. So geht es jedenfalls mir.
STEINHAUER: Also bei mir hat das sehr viel mit Selbstwert zu tun. Die Frage ist: Beherrscht mich meine Arbeit so, dass ich sagen muss: Ohne Arbeit bin ich nichts. Ist der Beruf so stark in mir verankert, dass ich mich nicht existenzfähig fühle, wenn ich diesen Beruf nicht ausübe? So extrem ist es bei mir nicht. Aber wir kennen dieses Phänomen ja generell aus der Arbeitswelt: Wenn jemand einen hohen Posten innehatte, alle begrüßen dich, alle verneigen sich, du bist mächtig. Und am nächsten Tag fällt dieser Posten weg, aus welchen Gründen auch immer, und plötzlich grüßen dich die Leute nicht einmal mehr.

Machtverlust?
STEINHAUER: Ja! Wenn es so weit kommt, ist das schrecklich. Und dieses Gefühl kenne ich schon: Es gibt kein Engagement, niemand ruft dich an, dann fragt man sich: So, was mache ich jetzt?

Wie ergeht es Ihnen, Herr Stein, wenn plötzlich die Angebote ausbleiben?
STEIN: Selbstzweifel. Dann fragt man sich: Ist man vielleicht gar nicht so gut, wie man selbst glaubt? Was bei mir in so einem Fall passiert: Ich mache weiter, ohne dass ich einen Auftrag habe. Dann nehme ich zum Beispiel eine Kamera in die Hand, blödle ­herum, stell es ins Internet – denn im Gegensatz zu meinem Vater habe ich eine Webpräsenz. Oder ich schreibe Texte. Für mich ist mein Beruf ja nicht ausschließlich an ein Engagement, an eine Rolle gebunden, sondern eine Existenzform.

Bernd Melichar im Gespräch mit Erwin Steinhauer und Matthias Franz Stein
Bernd Melichar im Gespräch mit Erwin Steinhauer und Matthias Franz Stein © (c) FUCHS JUERGEN

Jetzt sind wir beim Bereich des Kreativen. Jetzt sind wir beim Künstler, der das nicht nur dann ist, wenn er auf der Bühne steht, Bücher schreibt oder Symphonien.
STEIN: Ich kann mit diesem Wort wenig anfangen. Was ist ein Künstler?

Etwas Schöpferisches. Jemand, der etwas erschafft.
STEINHAUER: Das ist die große Frage, die ewige Diskussion: Ist ein Schauspieler ein Künstler? Wir sind ja die, die nur spielen. Wir sind nicht produzierend, sondern nur reproduzierend. Es gibt Menschen, die sagen, nur Maler, Musiker, Schriftsteller sind Künstler.

Jetzt stapeln Sie lustvoll tief!
STEINHAUER: Nein! Was schaffe bzw. erschaffe ich denn?

Eigene Welten, eigene Menschen ...
STEINHAUER: Aber nicht mit meiner Arbeit! Ich brauche vorher einen Dichter, der mir diese Menschen, die ich dann spiele, erschafft. Ich bin als Schauspieler nicht erschaffend, sondern nachschaffend.
Aber Sie als Schauspieler hauchen dem Wort des Dichters doch Leben ein.
STEINHAUER: Ja, aber berechtigt mich das schon, mich als Künstler zu sehen?

Wie würden Sie selbst Ihre Arbeit bezeichnen?
STEINHAUER: Das kommt darauf an, wie ich gerade aufgelegt bin. Manchmal denke ich mir: Ach, du lieber Freund, das wurde doch schon hundert Mal gemacht, das ist doch nur Reproduktion. Dann wieder sage ich mir: Was du hier machst, also die Schauspielerei, ist gutes Handwerk.
STEIN: Handwerk gehört für mich auch dazu, unbedingt.

Aber das Handwerk kann doch nur die Grundvoraussetzung sein. Schauspiel ist mehr.
STEINHAUER: Ach wo! Viele in dieser Zunft kommen doch heute aus dem Mannequin-Bereich, darum schauen die Schauspieler im Fernsehen ja alle gleich aus. Auch Ausbildung ist keine notwendig. Schauen Sie uns beide an: Mein Sohn ist geprüfter Schauspieler – ich nicht.
STEIN: Na, super. Davon hab ich was!

Aber sind wir uns trotzdem einig, dass bei diesem Beruf das Handwerk allein nicht ausreicht?
STEIN: Das glaube ich auch, dass es nicht ausreicht. Es gehört auch eine gewisse kriminelle Energie dazu.

Das müssen Sie bitte erklären.
STEIN: Der Kriminelle und der Künstler haben ja etwas gemeinsam, nämlich dass beide außerhalb der Gesellschaft stehen. Ich kann das gut nachempfinden. Ich habe als Jugendlicher auch viel Blödsinn gemacht. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich kriminell war, aber dieses Räubertum oder besser Gaunertum hat mich mmer interessiert. Nicht die Gewalt, das ist etwas anderes. Aber das Gefährliche, das ­Unwägbare, der Nervenkitzel, das hat mich schon fasziniert, und damit sind wir ja bereits im Bereich des Künstlertums. Der Schauspieler ist ja dazu da, die Gesellschaft zu spiegeln, darauf zu reagieren, und nicht dazu, innerhalb dieser Gesellschaft zu stehen. Wir stehen also immer etwas außerhalb und blicken auf die anderen.

Stichwort Freigeist.
STEINHAUER: Ja, damit hat es schon auch zu tun. Und natürlich ist unser Beruf immer auch ein Stück Flucht, weil wir die große Chance haben, in andere Persönlichkeiten zu entfliehen, und auch, uns hinter dieser Figur zu verstecken. Es ist dann wahnsinnig schwer, dass man von seiner Rolle wieder herunterkommt.
STEIN: Waschen!
STEINHAUER: Waschen?
STEIN: Ja, man muss sich nach jeder Rolle gründlich waschen, hat der Kollege Johannes Silberschneider einmal gesagt.

Die Frage, die ja kommen musste, zuletzt: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn auf der Bühne?
STEIN: Man ist professioneller Kollege – aber natürlich gibt es auch die Vater-Sohn-Ebene, das kann man nicht auflösen. Die Zusammenarbeit ist also durchsät mit Auseinandersetzungen. Und das ist auch gut so.
STEINHAUER: Wir sind beide Dissonanzmenschen und überzeugt davon, dass Harmonie nur dann entsteht, wenn man sie sich erstreiten kann. Aber es gibt für einen Vater nichts Schöneres, als mit seinem erwachsenen Sohn so viel Zeit zu verbringen. Das ist absolut bewegend.

Waren Sie nie versucht, Ihren Sohn zu belehren?
STEINHAUER: Na ja, manchmal konnte ich nicht die Pappn halten. Aber ich habe mich immer bemüht, kein Lehr­meister zu sein.