Die Wirtschaft befindet sich in der Krise. Wie kann es sein, dass die Zahl der Industrielehrlinge in den vergangenen Jahren dennoch angestiegen ist?
JOCHEN PILDNER-STEINBURG: Es wäre fatal, die Zahl der Lehrstellen in der jetzigen Situation zu reduzieren. Ich glaube, alle Unternehmen sind sich dessen bewusst. Wir werden gerade in Zukunft Fachkräfte brauchen, um die an uns gestellten Herausforderungen meistern zu können. Vor allem in den Industriebereichen Maschinen-Stahlbau, Elektronik und Mechatronik gibt es einen eklatanten Mangel. Ebenso bei den Schweißern und Drehern. In Zeiten der Hochkonjunktur haben wir vergessen, Fachkräfte auszubilden. Diesen Fehler werden wir bestimmt nicht wiederholen.

Dennoch zählen Mechaniker oder Tischler zu den beliebtesten Berufen. Woran liegt das?
PILDNER-STEINBURG: Da geht es einerseits um den Mangel an Information. Noch immer glauben viele, dass es in Industriebetrieben schmutzig und laut ist. Auch die Vorstellung einer körperlich schweren Arbeit ist längst überholt. In der Werkstatt eines Papiermachers etwa können Sie vom Fußboden essen, so sauber ist es dort. Facharbeiter, aber auch schon Lehrlinge, beaufsichtigen riesige Maschinen, die mehrere Millionen Euro kosten. Das sind anspruchsvolle Tätigkeiten, man muss schon fast sagen Managementberufe.

Bekommen die Jugendlichen dafür auch Managementgehälter?
PILDNER-STEINBURG: Es ist ein Faktum, dass ein Industrielehrling mehr verdient als ein Lehrling in einem Gewerbeberuf. Und ich glaube, dass Geld zunehmend der treibende Faktor für eine Berufswahl werden wird. Das wird sich herumsprechen und Industrieberufe werden dadurch an Attraktivität gewinnen. Man muss aber zugeben, dass es nicht in jedem Ort einen Industriebetrieb gibt. Das hat zur Konsequenz, dass Lehrlinge mobil sein müssen.

Stichwort Mobilität/Internationalität. Was bietet die Industrie in diesem Bereich Lehrlingen an?
PILDNER-STEINBURG: Vor allem für jene, die die Welt kennen lernen wollen, ist die Industrie hochattraktiv. Unsere Betriebe sind exportorientiert und international vernetzt. Mitarbeiter, die heute gerade in Deutschland oder China unterwegs sind, arbeiten kommende Woche schon wieder in Australien.

Stellt das nicht auch die Ausbildung vor neue Herausforderungen?
PILDNER-STEINBURG: Es stimmt, die Lehrlingsausbildung ist einem Wandel unterworfen. Das gilt aber nicht nur für die Industrie. Die Wirtschaft verändert sich. Sprachen zu lernen ist das Gebot der Stunde. Wir werden künftig nicht vom Tauschhandel in der Herrengasse leben können. Denn nur fachlich auszubilden, ist eindeutig zu wenig. Man muss zusätzlich etwas anbieten, und das wird auch gemacht.

Schon bei den Eignungstests ist mittlerweile hohes Niveau gefragt. Kann ein Hauptschüler überhaupt noch in einem Industrie-Lehrberuf punkten?
PILDNER-STEINBURG: Eine schwierige Frage. Ich denke aber, dass jeder, der die Schulausbildung mit dem nötigen Ernst durchmacht, bestehen kann. Besonders wichtig ist es, eine Perspektive für sich selbst zu haben.

Mädchen sind immer mehr im Kommen. Sind sie aber auch im Vorteil?
PILDNER-STEINBURG: Nein, aber die Zeiten, in denen Mädchen in der Industrie nichts verloren hatten, sind längst vorbei. In vielen Betrieben, in denen es eine „reine Männerwirtschaft“ gegeben hat, herrscht durch den Eintritt einer Frau plötzlich ein völlig anderes Klima. Jeder moderne Unternehmer wird deshalb dafür Sorge tragen, auch Frauen in der Produktion einzusetzen.

Was würden Sie sich derzeit von der Politik wünschen?
PILDNER-STEINBURG: Die Politik ist etwa bei der qualifizierten Ausbildung von Lehrlingen gefordert, als Beispiel seien hier die bedarfsorientierten Kosten für die Ausbildung zum Industrietechniker genannt. Außerdem muss uns klar werden, dass es nicht darum geht, so schnell wie möglich, sondern so qualifiziert wie nötig auszubilden. So werden die heutigen Industrielehrlinge bestimmt nicht die Arbeitslosen der Zukunft sein.