Zeit für eine Zwischenbilanz: Wie steht’s um das österreichische Bildungssystem in Hinblick auf Hochschulen? Für Erziehungswissenschafterin Elke Gruber (Karl-Franzens-Universität Graz) besser als man gemeinhin annimmt: „Wir haben eigentlich ein gutes, breites hochschulisches Angebot. Mit Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Universitäten ergibt das insgesamt ein nach unterschiedlichen Kompetenzen ausgerichtetes, differenziertes Bild“, so die Professorin.

Gar nicht so exzellent

„Ich habe auch nichts am Hut mit diesen Exzellenzgeschichten, wie wir sie aus Deutschland kennen. Das kann nur auf Kosten der breiten Mitte gehen. Ein absolutes Negativbeispiel sind für mich in dieser Hinsicht die USA: Dort gibt es einige wenige exzellente Unis, die sehr, sehr reich sind, Ländereien besitzen usw. Viele davon würden jedoch bei uns hier gar nicht als Universität gelten.“ Daher auch das – im internationalen Vergleich betrachtet – gute Zeugnis für die österreichische Bildungslandschaft im Hochschulbereich, wenngleich: „Auf diesen Lorbeeren darf man sich nicht ausruhen.“
Ein nicht allzu positives Zeugnis stellt Robert Seidl, Unternehmer, Wirtschaftsphilosoph und Autor, dem Bildungssystem Österreichs aus: „Wir sollten uns an den Erfolgsmodellen von skandinavischen Ländern orientieren oder uns auch die Frage stellen, welche Bildungseinrichtungen die Genies unserer Zeit – z. B. Bill Gates, Mark Zuckerberg oder Jimmy Wales – besuchten. Die Rohstoffe der Zukunft sind Bewusstsein, Mut, Kreativität und spezifische Fähigkeiten im Bereich der angewandten Forschung. Hier besteht akuter Handlungsbedarf!“, konstatiert der Autor des Buches „Wissen, Weisheit, Wohlstand“.
Wie sieht also das Ideal einer Hochschule aus? Seidl: „Idealerweise sollten schon bei der Studentenaufnahme dessen Stärken und Fähigkeiten entscheiden. Nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch praktische Fähigkeiten sowie die gedankliche Vernetzungsfähigkeit von Theorie und Praxis sollten intensiver gefördert werden.“ Ähnlich sieht das die Erziehungswissenschafterin: „Nicht nur laut Humboldt integriert eine sehr gute Hochschule Lehre und Forschung – und ich denke, da muss man heutzutage auch die Weiterbildung mit einschließen. Reine Forschungs- oder reine Lehranstalt: Davon halte ich wenig“, so Gruber, denn: „Es muss differenziert werden: FH und PH sollten auch Forschung und Weiterbildung nicht vergessen, die Uni dafür stärker forschungs- und wissenschaftsorientiert sein.“
Laut Seidl seien z. B. Fallstudien (case study) ein gutes Instrument, denn: „Neben dem Praxisbezug werden in der Gruppenarbeit auch soziale Fähigkeiten weiterentwickelt. An Hochschulen in der Schweiz etwa wird dies schon umgesetzt.“
„Generell sollte viel mehr zwischen den verschiedenen tertiären Einrichtungen hin- und hergewechselt werden können“, wünscht sich Elke Gruber mehr Verbünde von Hochschulen. „Es braucht mehr Durchlässigkeit, damit die Studierenden z. B. von der FH auf die Uni wechseln können etc.“ Grubers Ideal: „Es sollte Räume – also z. B. Beratungsgespräche, Lehrveranstaltungen, Infos via Internet – geben, in denen Studierende, Lehrende und Mitarbeiter insgesamt zusammenarbeiten, ohne Gefälle. Eine Hochschule sollte eine Community sein, mit einem gemeinsamen Ziel“, schlägt die Erziehungswissenschafterin einen vermehrten Austausch zwischen den Instanzen vor.

Herzensthema

Dafür gilt es natürlich auch für die Studierenden selbst, schon bei der Studienwahl persönliche Neigungen zu befolgen – rät auch Robert Seidl zur Wahl des individuellen „Herzensthemas“: „Damit meine ich ein Fachgebiet, für das man sich nicht nur einfach so interessiert, sondern für das man brennt. Man sollte sich unbedingt persönliche Ziele setzen und diese konsequent verfolgen, auch wenn es einmal schwierig ist.“ Mit fortschreitendem Studium solle man laut Seidl eine Vision entwickeln, in welchem Bereich man das Gelernte optimal einsetzen möchte. „Studieren ist harte Arbeit, die Ziele, Methoden und viel Engagement benötigt.“

Engagement zählt

Stichwort Engagement: Dieses steht auch für Gruber ganz oben. „Man sollte die Studienzeit als Raum für Persönlichkeitsbildung nutzen, ev. demokratiepolitisch, in Gremien etc. Es wird ja immer schwieriger, z. B. für die Österreichische Hochschülerschaft jemanden zu gewinnen.“
Zur Persönlichkeitsbildung gehöre, das kulturelle Angebot der jeweiligen Stadt zu nutzen oder internationale Erfahrungen zu machen. „Es geht darum, über den Tellerrand zu schauen.“ Die Zeit des Studiums solle man genießen – „es ist eine unglaublich gute Zeit“, so Elke Gruber. Und auch Robert Seidl stellt fest: „Empfehlen kann ich eine interdisziplinäre Vorgehensweise, da diese den Horizont ungemein öffnet.“

Vorbereitung auf die Praxis

Auch das fachlich-wissenschaftliche Moment sollte forciert werden: „Im Studium hat man die Möglichkeit, sich intensiv mit Theorien, mit Wissenschaft und Forschung auseinanderzusetzen. Es ist die Grundlage für die Berufstätigkeit, für das Leben“, betont Gruber. Diese Denk- und Erfahrungsräume seien nicht zuletzt eine Basis für die gesellschaftliche Praxis mit all ihren Herausforderungen – auch wirtschaftlich und kulturell – sprich: für alles, was das Leben ausmacht.
Denn die Aufgaben lassen nicht auf sich warten, sagt auch Seidl: „Die Menschheit benötigt dringend Lösungen für akute Probleme wie z. B. Energie, Ernährung etc. All das ist eine Chance für junge, forschende Menschen. Ich empfehle jedem, Dinge zu tun, die zuvor noch niemand getan oder gedacht hat und dabei neugierig und mutig zu sein.“ MARGOT HOHL