Es heißt, die Chinesen essen alles, was Beine hat und kein Tisch ist: Haustiere wie Esel, Hunde und Katzen, aber auch Wildtiere wie Affen, Krokodile, Schuppentiere und Tiger. Sie alle werden in China auf dem Markt verkauft - teilweise unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, und oft auch gleich vor Ort geschlachtet und zubereitet. Das war 2003 vermutlich der Nährboden von SARS und jetzt jener von Corona. Wenn davor in China ein Virus aufgetreten ist, haben wir in Europa gesagt: traurig, aber betrifft uns nicht. Diese Zeiten sind vorbei.
Der Berliner "Tagesspiegel" bezeichnet Corona als "Kollateralschaden der Globalisierung". Durch den regen wirtschaftlichen Austausch mit China kriegen wir nicht nur sämtlichen Billigramsch, sondern auch Corona vor die Haustür geliefert. Warum aber gibt es ausgerechnet in Norditalien so viele Erkrankungen? Verdächtigt wurden die chinesischen Touristen wie auch die norditalienische Modeindustrie. Diese bedient sich Zigtausender chinesischer Billigarbeiter, die häufig illegal bis zu 16 Stunden am Tag in den Textilindustrien arbeiten, damit auf den Kleidungsstücken „Made in Italy“ stehen kann. Nicht nur gearbeitet, auch geschlafen wird oft in den Fabriken, auf engstem Raum. Dass das auch zu höheren Infektionszahlen führte, ist unbewiesen. Corona ist aber ein Anlass, diese moderne Form der Sklaverei zu thematisieren, ob in Italien oder sonstwo. Die Gier ist bei den Produzenten ebenso anzutreffen wie bei uns Konsumenten. Jeder von uns kann etwas ändern.
Denn dass wir mit diesem ausbeuterischen Wirtschaftssystem an die Wand fahren, ist keine Neuigkeit. Das Produkt muss möglichst billig sein, der Profit möglichst hoch, den Preis zahlen die Menschen und die Umwelt. Wir haben uns auf eine Art von den Chinesen abhängig gemacht, die völlig gegen jede wirtschaftliche Vernunft ist, wie man jetzt sieht. Nebenbei ruinieren wir unsere eigenen Betriebe und unterstützen einen unkontrollierbaren Moloch, der immer mehr die Weltwirtschaft bestimmt. Für diese Art der Globalisierung kriegen wir nun die Rechnung präsentiert. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, über Steuer- und Zollpolitik diesen Wahnsinn zumindest einzudämmen. Denn es geht um nicht weniger als die Rettung unserer europäischen Lebensmodelle, die da sind: geregelte Arbeitszeiten, faire Löhne, garantierte Sozialleistungen, das Einhalten von Umwelt- und Hygienestandards – kurzum: um unsere Lebensqualität. Wer mies hergestellte Produkte kauft, unterstützt damit fast immer Lohnsklaverei und die Schädigung der Umwelt. Schlimmstenfalls sogar, ohne es zu wissen, die Ausbreitung eines Virus. Auf den freien Warenverkehr folgt der freie Virenverkehr.
Es scheint so, als ob uns nur eine massive Form der Bedrohung, wie es ein Virus ist, überhaupt zu Verhaltensänderungen führen kann. Für das Klima beispielsweise ist Corona vorteilhaft, denn weniger Reisen, weniger Produktion, weniger Verkehr bedeutet natürlich weniger CO2. Ohne Virus würde wohl kaum jemand sein klimaschädigendes Verhalten einschränken. Vielleicht entdecken wir jetzt auch, dass wir gar nicht so viel Krempel brauchen und dass wir vieles, was wichtig ist, auch vor Ort bekommen. Im persönlichen Umfeld sorgen die Quasi-Ausgangssperren dafür, dass man plötzlich wieder mehr Zeit hat für Heim und Familie. Lange Liegengebliebenes, Gespräche, Spiele mit den Kindern, vernachlässigte Hobbys – alles könnte jetzt wieder aktiviert werden. Und glücklich, wer Homeoffice machen kann. Denn seien wir ehrlich: etliche Meetings sind doch eh vollkommen für die Fisch, und Kundengespräche sind oft telefonisch viel effizienter. Und überhaupt: diese Ruhe! Endlich kann man konzentriert einer Beschäftigung nachgehen, ohne ständige Ablenkung und Unterbrechung. Wenn Corona bewirkt, dass wir unser mörderisches Tempo runterfahren und einige alte Qualitäten wieder entdecken, und wenn wir in der sozialen Distanz unser Sozialverhalten regenerieren – das wäre doch echt die Krönung!
Christian Hölbling