Luca gähnte in seine Handschuhe hinein. Wie immer war es saukalt in der Kirche. Und die Holzbank war hart, eng und ungemütlich. Kein Vergleich zum Cineplexx. Die Leute im Mittelalter waren ja viel kleiner als heute. Und sie waren Folter gewöhnt. Die sind auch viel früher gestorben. Aber warum man heute auch noch so sitzen musste, war Luca nicht klar. So wie ihm vieles nicht klar war. Zum Beispiel, warum seine Mutter auf das Kirchegehen bestand, obwohl ihm das gehörig auf die Nerven ging. Dieses ständige Aufstehen und Hinsetzen. Oder worüber der Pfarrer redete. Zwar kannte er die meisten dieser Sprüche vom Religionsunterricht. Dort musste man sie auswendig lernen, so wie Formeln, Gedichte oder Grammatik.

Aber was das Ganze bedeutete, das war für Luca ein einziges Rätsel. Der Religionslehrer war kurzsichtig wie die Fliege Puck, mit einer Brille aus dem Jahre Schnee, und er spuckte beim Reden. Aber wenigstens konnte man in der Stunde jausnen und mit dem Handy spielen. Sonst müsste man vor Langeweile sterben. Nur Jausnen und Handyspielen ging in der Kirche leider nicht, deswegen war es auch so sterbenslangweilig. Vielleicht sind die Leute im Mittelalter deswegen so früh gestorben, weil sie so viel in die Kirche gehen mussten.

Der Pfarrer sah unglücklich aus, obwohl er immer den Gott lobte und ihm für irgendetwas dankte. Irgendwie schaute der immer nur den Altar an und nicht die Leute. An manchen Tagen spielte eine Art Band beim Gottesdienst. Das war zwar auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, weil die Lieder immer irgendwie komisch waren, aber besser als nichts. Aber heute leider nur Orgel. Ein paar alte Frauen sangen laut und falsch dazu, und die meisten anderen Leute sangen mit so schmalen Lippen, als ob sie Zahnweh hätten.

Dann kam wieder der Pfarrer und las was total Wichtiges herunter, was aber kein Mensch verstehen konnte. Schnarch. Luca versuchte in der Kirche, irgendeine Beschäftigung zu finden. Die Heiligenfiguren und Bilder hatte er bei seinen bisherigen Besuchen bereits zu 100 Prozent durchgescannt. Ein kurzer Rundum-Check zeigte ihm, dass auch anderen Leuten fad war.

Luca versuchte, aus den Reden des Pfarrers irgendwas rauszuhören, was etwas mit ihm oder mit dem Leben heute zu tun hatte. Aber er fand nichts. Der Pfarrer sagte immer so was wie „gebenedeit“ oder „Gnade“ und so und redete von Schuld und Sünden. Das fühlte sich nicht gut an. Noch dazu hatte er so einen komischen Akzent, wie die Leute, die auf den Baustellen arbeiten. Man merkte genau, dass der das alles auch nur auswendig gelernt hatte. Jetzt sang er diese Sprüche oder Gebete oder was das war auch noch solo. Und zwar so falsch, dass es einem die Nackenhaare aufstellte. Peinlich. . .

Als er im Firmunterricht vom Pfarrer gefragt wurde, warum er gefirmt werden will, sagte Luca das, was fast alle sagten: damit er einmal kirchlich heiraten kann. Gleich als er es aussprach kam es ihm schon blöd vor, aber es fiel ihm halt auch nichts Besseres ein. Bei der Beichte erfand er irgendwelche Sachen, weil er nicht einsah, warum er einem fremden alten Mann etwas über sein Privatleben erzählen sollte. Der Pfarrer sagte auch zu den Firmlingen, dass sie jederzeit zu ihm kommen könnten, wenn sie ein Problem hätten. Da nickten alle und schauten irgendwo in den Boden.

Was für ein Problem könnte das sein? Luca fragte sich, warum das mit der Kirche immer so peinlich sein musste. Sein Cousin zum Beispiel hatte einen jüngeren Pfarrer, der sogar mit den Jugendlichen Fußball spielte, bei dem die Messe irgendwie interessant war und wo man auch lachen durfte. Dort gab es eine Jugendgruppe, wo sie auch über echte Probleme diskutierten. Und Lucas Freundin hatte einen Religionslehrer, wo nicht gleich alle wegschnarchten, weil er immer so Themen mitbrachte, die spannend waren. Das hätte Luca schon auch interessiert. Aber was sollte er denn machen? Er konnte ja nicht gut bei der Messe aufstehen und fragen, was das alles mit ihm zu tun hat. Und von den Erwachsenen konnte er das auch nicht erwarten. Die störte sowieso gar nichts.