Die Stimmung meiner Frau beim Frühstück war mehr als getrübt. Schuld war eine Zeitungsmeldung: In einer Diskothek im ländlichen Kühnsdorf attackierte ein 26-jähriger Gewalttäter einen 41-jährigen Familienvater so schwerwiegend, dass dieser kurz darauf starb. Der Anlass war ein Streit um ein paar Trinkgeldmünzen - das Todesopfer hatte damit nichts zu tun. Es hätte also jeden treffen können. Eine unfassbare Tragödie. Und so nahe, dass einem bange wird. Was tun mit solchen Nachrichten? Weiterblättern und an was anderes denken?

Geht leider nicht, sofern man nicht schon völlig abgestumpft ist. Also sehen wir uns das Leben des Täters, nennen wir ihn T., ein wenig genauer an. Der in Klagenfurt-Land ansässige junge Mann soll Kontakte zu staatsfeindlichen Gruppen haben, ist vierfach vorbestraft, davon dreimal wegen Gewaltdelikten. Unter anderem wegen einer Attacke auf Polizisten sowie wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Ein weiteres Verfahren läuft noch. Im April 2017 wurde T. wegen schwerer Körperverletzung zu 14 Monaten Haft verurteilt, davon drei unbedingt. Bis Juni hätte er die Haft antreten müssen, er zog es jedoch vor, nach Mittelamerika zu reisen. Mit „Untertauchen“ hat das nach Auskunft seines Anwaltes nichts zu tun; T. habe nur nicht gewusst, wann sein Haftantritt sei.

Was für einen Eindruck ergibt das? Einmal den eines jungen Mannes mit einer dauerhaften Gewaltbereitschaft, die weder vor Menschen noch vor der Autorität des Staates Halt macht. Und dieser Staat wollte die Gewaltausbrüche mit drei Monaten tatsächlicher Haft bestrafen, stellte dem Täter aber scheinbar großzügig frei, wann er seine Haft anzutreten gedenkt. Können wir also sicher sein, dass wir, die wir den Staat respektieren, vor solchen Leuten, die offenbar nichts und niemanden respektieren, geschützt werden? Oder müssen wir damit rechnen, von derartigen wandelnden Zeitbomben zu jeder Zeit und an jedem Ort erschlagen zu werden? Diese Frage ist akut, und daher darf man wohl von unserem Rechtsstaat verlangen, dass er hier zu unserem Schutz konsequent vorgeht und nicht halbherzig.

Die tieferliegenden, langfristig wirksamen Fragen sind aber folgende: Wie kann jemand überhaupt so werden? Aus welcher Familie kommt er? War er ein unauffälliges Kind? Wie viel Liebe hat er bekommen? Welche Gewalterfahrungen hat er möglicherweise selbst gemacht? Wie viele Menschen in der Umgebung, wie viele Behörden haben weggeschaut, weil es mühsam ist? Wie viele seiner Bekannten, Nachbarn, ehemaligen Lehrer sagen jetzt „Das habe ich kommen sehen“ oder „Das musste ja so enden mit dem“? Und dann: Kann ein Gewalttäter allein durch eine Haftstrafe wirklich „besser“ werden? Welche begleitenden therapeutischen Maßnahmen gibt es? Warum sind Gewalttäter fast ausschließlich Männer?

Keine dieser Fragen macht das Opfer wieder lebendig. Auch keine allfällige Antwort. Wenn wir aber als Gesellschaft nach so einem Vorfall nicht einmal mehr Fragen stellen, sondern nur betroffen schweigen, dann begnügen wir uns mit unserer völligen Hilflosigkeit. Wir werden selbst Opfer. Und das wird solche Taten auch in Zukunft nicht verhindern. Ein Gewaltverbrecher fällt nicht einfach vom Himmel, und kein Kind kommt böse auf die Welt. Es gibt lange Vorgeschichten und soziale Umfelder, die Entwicklungen begünstigen - positive oder negative. Das Mindeste, was wir tun können, ist rechtzeitig hinhören, hinschauen und gegebenenfalls Meldung erstatten. Denn die Kinder, die wir heute aufgeben, sind möglicherweise die Kriminellen von morgen. Und dort, wo die Zeitungsmeldung aufhört, fängt die Arbeit an.

Übrigens: Die betroffene Diskothek hat sich in ihrer Außendarstellung entschieden, sich die gute Laune nicht nehmen zu lassen. Nichts weist auf die Tragödie hin, außer eine auffällige zweiwöchige Lücke in der Facebook-Selbstdarstellung. Nun bewirbt man eine Halloween-Veranstaltung unter dem Titel „Nightmare of Cabana“ wie folgt: „Habe keine Angst vor Monstern, halte aber lieber nach ihnen Ausschau . . . “. Dabei braucht es gar keinen inszenierten Halloween-Grusel. Der Albtraum ist längst Realität.