Willkommen in meiner Bar.

Sie gehört mir nicht, aber ich bin täglich dort. Pino sagt, wenn er je zusperrt, würde er mir die Schlüssel geben. Aber die Bar ist immer offen. Auch Weihnachten und Neujahr und Ferragosto und Ostersonntag. Sie ist immer offen, und zwar ab dem frühen Morgen, wenn die Fischer von der Nachtschicht zurückkommen und wenn der Bäcker von gegenüber, seit Stunden an den Öfen, einen ersten Kaffee braucht.

Erwartet nicht zu viel von Pinos Bar. Es gibt belegte Panini mit Kochschinken oder Käse und Hauswein vom Fass. Es duftet trotzdem (oder gerade deswegen) deftig und appetitlich, nach getoastetem Brot, nach verschüttetem Rotwein, nach Kerzenwachs. Die Portionen auf der kleinen Karte sind riesig, vor allem für italienische Verhältnisse. Aber kaum jemand bestellt je von der Karte, denn meistens hat vorne rechts, wo der Stammtisch ist, jemand gekocht. Dort sitzen die Fischer von Grado und zwei Jäger und einige Köche in Pension. Meistens bringt einer von ihnen etwas mit. Was frisch Gefischtes, was frisch Erlegtes, mit Pasta oder Polenta.

Autor Stefan Maiwald bei der Arbeit in Pinos Bar
Autor Stefan Maiwald bei der Arbeit in Pinos Bar © Privat/Stefan Maiwald

Die "Enoteca Da Pino" befindet sich in Grado, liegt aber deutlich jenseits der üblichen touristischen Pfade, nicht weit vom Minigolfplatz, der schon bessere Zeiten gesehen hat, und schräg gegenüber vom Kebab-Laden, der sich als Pizzeria tarnt – ja, die Globalisierung hat auch Grado erreicht. Aber noch nicht Pinos Bar. Sie ist ein wichtiger Treffpunkt des Ortes, doch hier verkehren keine Literaten und Philosophen, denen gewöhnlich zugehört wird, wenn sie über das Leben und den tieferen Sinn des Ganzen referieren. Ohnehin drehen sich die Gespräche hier selten um die ganz großen Themen.

Dennoch habe ich von den Menschen in dieser Bar viel gelernt. Und ich bin mir sicher, dass ihr das auch könnt – Lektionen über Familie und Freundschaft, über falsche Traumjobs und echtes Lebensglück, und über die einzig wahre Zubereitung der Bolognese-Sauce.

Ich brauche keine Therapie. Ich gehe zu Pino.

© Styria-Verlag