Herr Berlin, erleben wir jetzt gerade den Showdown des Turbokapitalismus?
BERLIN: Die Frage ist nicht unberechtigt, aber ein wenig weit gegriffen. Klar ist: Wir haben weltweit eine substanzielle Krise und sie reiht sich in die Krisen, die die Finanzmärkte im Lauf der Jahrhunderte auf sich nehmen mussten.

Wohl die schwerste Krise seit den 1930er-Jahren.
BERLIN: Ja, sie hat eine enorme Dimension und sie ist sehr ernst zu nehmen. Sie braucht mit Sicherheit außerordentliche Maßnahmen, um bewältigt zu werden. Im Fluss der Zeiten wird sie auch nicht die letzte sein. Aber wir haben die Möglichkeit, sie zu bewältigen.

Die großen amerikanischen Investmentbanken sind jetzt innerhalb einer Woche weggebrochen. Die waren doch die Ikonen dieses Raubtierkapitalismus?
BERLIN: Zweifellos. Das ist ein großer Einschnitt, aber nicht das Ende. Es gab immer ein Nebeneinander von Commercial Banking und Investment Banking. Diese Formen wird es unter anderer Verpackung auch wieder geben.

Eine reinigende Katharsis sehen Sie nicht?
BERLIN: Doch. Jede positive Entwicklung bringt auch negative Effekte mit sich, die eine Reinigung benötigen. Das würde ich den Erschütterungen jetzt als Positivum abgewinnen. Es schafft ein neues Bewusstsein in der Finanzwelt für Spielregeln, Zusammenarbeit und Überwachung. Das ist gut so.

Zu den Opfern dieses Reinigungsprozesses gehören auch europäische Banken.
BERLIN: Ja, die Finanzindustrie ist in den letzten 20 Jahren mit den Informationstechnologien rasant global zusammengewachsen. Wir sind alle in einem Boot, da kann sich keiner ausklinken - im Guten wie im Bösen.

Computergesteuerte Milliardenspekulationen und Gier der Manager - sind das die Gründe der Finanzkrise?
BERLIN: Gier der Manager halte ich für einen populistischen Faktor. Wesentlicher sind die Ursachen. Krisen haben immer einen roten Faden, der in Phasen der Euphorie beginnt, welche Kreditgeber und Kreditnehmer zur Leichtfertigkeit verführen. Ausgangspunkt war ja die US-Immobilienkrise mit gravierenden Fehlbewertungen. Hier hat man die Grundformel des Bankgeschäfts "Return on risk" - welchen Ertrag kann ich mit welchem Risiko erzielen - verlassen. Und das bei einer zunehmenden Rasanz der Geschäfte. Der Grundsatz, der auch mir immer wichtig war, nämlich Solidität und Nachhaltigkeit, wurde außer Kraft gesetzt.

Speed kills - das Tempo ist letal?
BERLIN: Bankkontrakte sind heute so schnell wie E-Mails. Risiko per se ist nichts Schlechtes, es ist die Ware des Bankgeschäftes. Nur muss ich es auch bewerten, beschreiben, verpacken und handeln können. Rein lokale Kreditvergaben haben früher auch zu Klumpenrisiken geführt, deshalb strebte die Finanzindustrie zu einem internationalen Risikoausgleich. Diese Entwicklung war durchaus positiv, auch für die Bürger und die Volkswirtschaften.

Für die Risiken müssen jetzt aber Steuerzahler geradestehen.
BERLIN: Die jahrelangen Vorteile aus der Finanzindustrie hatten allerdings auch die Staaten und die Steuerzahler. Es wurde deshalb die Krise in der Öffentlichkeit nur schleichend wahrgenommen. Als die ersten Anzeichen in Deutschland auftraten, mit den Problemen bei der IKB, gab es hier in Österreich die Salzburger Festspiele. Die Krise passte nicht in die Sommerlandschaft.

Dass Österreichs Banken mehr auf Osteuropa setzten als auf US-Risiken verschont sie jetzt?
BERLIN: Vor wenigen Jahren noch hätte man Investitionen in den USA als viel sicherer eingeschätzt als auf den Wachstumsmärkten Osteuropas, die zum Teil aus kriegsgeschädigten Volkswirtschaften hervorgegangen sind. Wir können uns heute glücklich schätzen, dass wir in dieser Region diversifiziert sind.

Österreichs Banken hatten damit einfach Fortune?
BERLIN: Ja, ich bin froh, dass es so ist. Wir sind damit von den direkten Wirkungen der Krise verschont. Es gibt aber indirekte Effekte, sodass die Urfunktion der Banken, Geld in die Wirtschaft zu pumpen, ins Stocken gerät. Das muss verhindert werden. Und wir haben auch selbst noch einiges zu tun, um etwa international gültige Standards zu erreichen und zu sichern.

Stehen Banken beim Wachstum vor einem Paradigmenwechsel?
BERLIN:Bisher haben sich die Institute mit Rekordergebnissen überboten, denken Sie nur an Schweizer Großbanken, da dachte man, die haben Geldmaschinen. Heute haben sich nach Rekordwertberichtigungen ihre Eigentumsverhältnisse völlig verändert.

Sind die von Verlusten betroffenen deutschen Landesbanken ein Auslaufmodell? Das würde auch den Mehrheitseigentümer der Hypo Group Alpe Adria, die Bayerische Landesbank, betreffen.
BERLIN: Bei den Sparkassen und den Genossenschaftsbanken gibt es eine Arbeitsteilung - einerseits die Marktnähe der kleinen Institute, andererseits die Gemeinschaftsaufgaben der Leitinstitute oder Landesbanken. In unserem Fall sind wir froh, dass wir eine starke Landesbank mit dem Freistaat Bayern und dem bayerischen Sparkassenverband als Eigentümer hinter uns haben. Mit dem Land Kärnten und der Grazer Wechselseitigen Versicherung als Miteigentümern sind wir so in einer Haftungskette, die sich in einer Krise besonders bewährt. Das ist auch wichtig für Anleger und Kunden, die sich überlegen, wem sie ihr Geld anvertrauen.

Was würden Sie jetzt den Sparern und Anlegern raten, wovor würden Sie jetzt warnen?
BERLIN: Der Vorteil in dieser Situation für die Sparer ist, dass es recht gute Konditionen gibt bei hoher Sicherheit. Ich würde zu sicheren Sparprodukten raten, von denen man derzeit gut profitiert. Warnen würde ich vor strukturierten Produkten. Als konservativer Anleger würde ich Aktien derzeit nur sehr selektiv kaufen. Bei der Geldanlage würde ich schauen, wie beim Bankinstitut die Haftungskette aussieht. Da sind wir sicher so etwas wie eine Benchmark.