„Die Bereitschaft des Bundes ist, ständig neue Aufgaben an die Richterschaft zu delegieren.“ Das schlage sich dann aber nicht in Planstellen nieder, sagt Gernot Kanduth. Der Klagenfurter ist Präsident der österreichischen Richtervereinigung und Richter am Oberlandesgericht Graz. Die Richterinnen und Richter seien schon jetzt am Limit und gingen in Fallzahlen unter, klagt er. Allein in Kärnten würden an den Bezirksgerichten und am Landesgericht Klagenfurt mindestens fünf Richterstellen fehlen.

Die Klage und die Forderung nach mehr Personal sind nicht neu, aber brisant im Vorfeld der am Dienstag in Graz beginnenden „Richter:innenwoche“, die sich – eröffnet von Ministerin Alma Zadić – allerdings nicht mit mehr Planstellen befasst, sondern mit den Herausforderungen künstlicher Intelligenz in der Justiz.

„Kriegen wir nicht“

Ein Beispiel für die Lage: Für die neu geregelte Prüfung von Verteidigerkostenersätzen sind pro Fall je 15 bis 20 Minuten vorgesehen. „Und das bei Akten, die oft ganze Räume füllen.“ Österreichweit seien dafür zwei Stellen geplant, „an sich schon viel zu wenig und die kriegen wir nicht“.

Seit einigen Monaten sind die Fallzahlen bei Gericht gestiegen. „In den ersten vier Monaten des Jahres haben wir eine enorme Zunahme an Verfahren verzeichnet“, sagt Kanduth. Warum? Nach Corona gebe es offenbar vor allem an den Zivilgerichten „Nachholbedarf“. Kanduth: „Es wird mehr gestritten. Die Bereitschaft zu streiten ist offenbar wieder gestiegen“. Beispiele für besondere Häufungen seien etwa Klagen im Bereich von Glücksspielen oder infolge des Dieselskandals. Genannt werden auch Klagen im Zusammenhang mit Kurzarbeit. An den Landesgerichten für Zivilrechtssachen betrage die Zunahme der Akten – im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren 2018/2019 – 50 Prozent. „Das ist in Wahrheit nicht mehr machbar.“

Längere Verfahren

Einerseits gebe es zu wenig Personal, andererseits mehr Verfahren. Und das bei einem Stand, bei dem im Vorjahr schon mehr als 100 Richter österreichweit gefehlt haben. Ende des Jahres dürfte der Planstellenbedarf sogar bei 150 bis 200 liegen – wenn der Trend anhält. Rechnerisch fehle damit bei allen österreichischen Gerichten im Schnitt je eine Richterin oder ein Richter. Die Folge seien längere Verfahren.

Vom Bund erwartet sich der Präsident, dass gegengesteuert wird: „Man muss sofort anfangen, Planstellen zu schaffen und zu rekrutieren.“ Damit die Gerichte ihre „wichtigen Aufgaben dem gesetzlichen Auftrag entsprechend erfüllen können“.

Positiv bewertet er Initiativen, wie sie der Präsident des Oberlandesgerichts Graz vor einiger Zeit vorgestellt hat. Dort werden Quereinsteiger aus anderen juristischen Professionen angeworben, die dann mit verkürzter Ausbildung und abgespeckter Prüfung in die Richterposition wechseln sollen. „Das funktioniert auch, man kriegt qualifizierte Leute. Aber viel mehr ist noch nötig.“ Denn eines sei sicher: „Die Zahl der Fälle geht nicht zurück.“