Dieses Bauwerk muss einiges tragen. Es ist unwidersprochen ein Meisterstück der Ingenieurskunst, das Erdbeben und Bora trotzen soll. Aber es soll auch „Fenster zur Welt“ sein und die Verantwortung eines Bollwerks gegen die Klimaerwärmung tragen. Die Rede ist von „Vinjan“, einem 620 Meter langen und 57 Meter hohen Viadukt in Slowenien, dessen Bau kürzlich erfolgreich abgeschlossen wurde. Die Brücke verläuft quer über das Vinjan-Tal (Vinjanska dolina), ist das längste von drei Viadukten und Teil des derzeit größten Infrastrukturprojekt unseres südlichen Nachbarlandes: Dem „Zweiten Gleis“.
Klimaziele der EU
Die neue Bahnstrecke zwischen Divača und dem Hafen von Koper ist ein strategisch wichtiges Element, um Europas Klimaschutzziele zu erreichen. Die erklärte Vorgabe der EU ist eine Einsparung der Treibgasemissionen von mindestens 55 Prozent bis 2030. Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ist ein wichtiger Hebel dafür. Das „Zweite Gleis“ soll mit jährlich 49.000 Tonnen weniger CO² Emissionen seinen wichtigen Teil dazu beitragen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) beteiligte sich deshalb mit einen Kredit in Höhe von 250 Millionen Euro daran. Laut EIB-Vizepräsident Kyriacos Kakouris stehe das Projekt für Kosteneffizienz, mehr Verkehrssicherheit und Umweltvorteile: „Als Klimabank wissen wir um die wachsende Bedeutung des Schienenverkehrs.“
Die 27 Kilometer lange Bahnverbindung besteht aus drei Viadukten, die anderen beiden sind „Glinščic“ (215 Meter) und „Gabrovica“ (416 Meter) sowie acht Tunnel, gebaut nach der sogenannten „Neuen Österreichischen Methode“ mit einer Gesamtlänge von 20,5 Kilometern. Das „Zweite Gleis“ ist Teil des „TEN-V-Eisenbahnkorridors Ostsee-Mittelmeer-Adria“ und gehört wie die Koralmbahn in Österreich zur „Baltisch-Adriatischen Achse“.
Erdbebengebiet
Die Eckdaten des Viadukts sind beeindruckend. Die Spannweiten zwischen den Säulen des Vinjan-Viadukts betragen zwischen 60 und 100 Metern, die Säulen sind bis zu 57 Meter hoch, die Breite der Brücke aus Spannbeton beträgt 9,6 Meter. Die Fundamentbrunnen sind bis zu 24 Meter tief.
Doch die Errichtung verlief nicht problemlos. Bereits zu Beginn stellte sich heraus, dass die Trasse durch ein instabiles, also erdbebengefährdetes Gebiet führt. „2TDK“, das staatliche Unternehmen, das für die Abwicklung des Projekts gegründet wurde, musste die Brücke völlig neu konzeptionieren.
Die geplante Umsetzung in Stufenschiebetechnik, die etwa beim Gabrovica-Viadukt zum Einsatz kam, wich einer freitragende Kragarmkonstruktion. „Aus Gründen der Sicherheit ist es notwendig, die langfristige Stabilität des Viadukts zu gewährleisten. Die neu konzipierte Konstruktion wird eine deutlich höhere Sicherheit gewährleisten. Im Falle eines Erdbebens sowie bei Windeinfluss und gleichzeitig wird auch die Haltbarkeit des Gebäudes erhöht“, erklärte damals „2TDK“-Direktor Matej Oset.
1,2 Milliarden Euro
Die Gesamtkosten für das Projekt „Zweites Gleis“ wurden in Slowenien mit mehr als 1,2 Milliarden Euro budgetiert. 13.000 Arbeitsplätze in der Bauphase und rund 60 Arbeitsplätze für den anschließenden Betrieb sollen entstehen, teilte Infrastrukturministerin Alenka Bratušek mit: „Der Streckenausbau zwischen Divača und Koper verbessert die Anbindung in der gesamten europäischen Region“.
Das Projekt wurde in drei Baulose aufgeteilt: Die ersten zwei Lose von Divača bis Črni Kal und von Črni Kal bis Koper für den Unterbau wurden 2017 begonnen. Das dritte Baulos, das Oberbau, Oberleitung, Leit- und Sicherungstechnik umfasst, wurde im September 2023 an eine Arbeitsgemeinschaft dreier Unternehmen vergeben. Die Fertigstellung ist Ende 2025 geplant, 2026 sollen erste Testfahrten durchgeführt werden.
„Unser Fenster zur Welt“
Im Vollbetrieb sollen mehr als 230 Züge täglich bis zu 160 km/h schnell auf der Strecke verkehren und die Bedeutung von Koper weiter stärken. Mit der Schienenanbindung wird sich die Kapazität des Seehafens, der als einer der fünf Häfen der „Northern Adriatic Ports Association“ (NAPA) den Frachtmarkt in Mittel- und Südosteuropa bedient, verdoppeln. „Die Logistik ist eine der Branchen mit der höchsten Wertschöpfung, das „Zweite Gleis“ ist „unser Fenster zur Welt“ und die Regierung wird künftig verstärkt auf den Ausbau des Eisenbahnnetzes im ganzen Land achten“, sagte Sloweniens Premierminister Robert Golob anlässlich der Fertigstellung von Vinjan.