Australien hat seine No-Covid-Strategie aufgegeben. Am Mittwoch erst sagte eine Politikerin, es sei "unmöglich, die Delta-Variante zu eliminieren". Gladys Berejiklian, die Ministerpräsidentin von New South Wales, dem Bundesstaat, in dem Sydney liegt, steht momentan pünktlich jeden Morgen um 11 Uhr mit ihrem Team vor den Fernsehkameras. Über 1000 Fälle meldet sie jeden Tag, doch gleichzeitig gehen auch die Impfzahlen stetig nach oben. Nach einem schleppenden Start stehen die Impfungen inzwischen allen ab 16 Jahren zur Verfügung und auch die 12- bis 15-Jährigen sollen Mitte September folgen.

Berejiklian ist eine der Stimmen, die darauf drängt, ihren Bundesstaat und auch ganz Australien wieder zu öffnen, nachdem "wir alle über kurz oder lang mit Covid leben müssen", wie sie sagt. "New South Wales war bisher erfolgreich, andere Covid-Varianten auszumerzen", betonte die Politikerin. "Aber der Delta-Stamm ist ein Gamechanger."

Neuseeland: Lockdown nach einem Fall

Während die großen Bundesstaaten in Australien die No-Covid-Strategie angesichts der schwer zu bekämpfenden Delta-Variante – Sydney ist inzwischen seit zehn Wochen im Lockdown – aufgegeben haben und trotz hoher Infektionszahlen über Lockerungen und Öffnungen sprechen, klammert sich Neuseeland weiterhin an ein Covid-freies Leben.

So ging das gesamte Land am 17. August nach nur einer Covid-19-Diagnose in einen strengen Lockdown. Dieser besteht – auch zwei Wochen später – nach wie vor für die größte neuseeländische Stadt Auckland, während die Restriktionen in anderen Teilen des Landes etwas gelockert wurden. Die strengsten Beschränkungen der Stufe vier, denen Auckland unterliegt, erlauben den Bürgern, ihre Wohnung nur für essenzielle Gründe wie den Lebensmitteleinkauf oder einen Arztbesuch zu verlassen. Schulen, Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, auch Takeaway ist nicht erlaubt.

"Eliminierung ist die beste Strategie für uns"

Während Australien die Delta-Variante trotz Lockdown bisher weder in Sydney noch in Canberra oder Melbourne ausmerzen konnte, scheinen die Maßnahmen in Neuseeland besser zu greifen. Am Donnerstag meldete das Land 49 Neuinfektionen, am Mittwoch waren es noch 75 gewesen. Der neuseeländische Gesundheitsbeauftragte Ashley Bloomfield hatte am Mittwoch bereits betont, die neueste Modellierung sei "positiv" und zeige, dass "wir die Übertragungsketten durchbrechen".

Am Donnerstag verteidigte dann auch Premierministerin Jacinda Ardern den Ansatz ihrer Regierung und betonte, dass Eliminierung die vernünftigste Strategie sei, bis alle Neuseeländer vollständig geimpft seien. "Delta ist anders, niemand bestreitet das", sagte Ardern in ihrer täglichen Pressekonferenz. Doch Neuseeland werde seine Strategie vorerst nicht ändern. "Eliminierung ist die beste Strategie für uns, während wir die Menschen impfen", sagte sie. Mit diesen Worten widersprach die Sozialdemokratin ihrem Kollegen Scott Morrison in Australien. Denn der australische Premierminister hatte erst letzte Woche noch gesagt, dass der Gedanke, man könne ein Land für immer vor der Delta-Variante schützen, "einfach absurd" sei.

Neuseeländer unterstützen No-Covid-Strategie

Ardern betonte in der Pressekonferenz am Donnerstag, dass sie sich darüber bewusst sei, dass verschiedene Politiker in Australien unterschiedliche Positionen zur neuseeländischen vertreten würden. Ihr gehe es aber darum, "Fälle während der Impfungen niedrig zu halten". "Das ist unser Ziel", meinte sie. Neuseelands Impfkampagne geht nach wie vor nur langsam voran: 29 Prozent der fünf Millionen Neuseeländer sind derzeit vollständig geimpft, 56 Prozent haben immerhin ihre erste Dosis erhalten. Die Impfkampagne erlitt jedoch einen Rückschlag, nachdem die Gesundheitsbehörde den Tod einer Frau meldete, die nach der Biontech-Pfizer-Impfung eine Herzmuskelentzündung bekam, eine sehr seltene Nebenwirkung des Impfstoffs. Diese Entzündung führte vermutlich gepaart mit anderen Gesundheitsproblemen zum Tod der Frau.

Während sich vor allem einige ausländische Kommentatoren in den vergangenen zwei Wochen über Neuseeland lustig machten – ein Kommentaror warf der Regierung gar vor, ihre Bevölkerung zu "babysitten" und dabei zu "isolieren" und "ruhig zu stellen" – unterstützen die Neuseeländer den restriktiven Ansatz ihrer Regierung nach wie vor mit einer überwältigenden Mehrheit. So ergab eine aktuelle Umfrage, dass der strenge Lockdown bei 84 Prozent der Bevölkerung Zustimmung findet.

Experte: Eliminierung kann keine globale Strategie sein

Auch ein bekannter neuseeländischer Experte für Infektionskrankheiten betonte in einem Interview mit Radio New Zealand Ende August, dass er die Eliminierungsstrategie in Bezug auf Neuseeland für richtig halte. Richard Webby, der am St. Jude Children's Research Hospital in Tennessee in den USA forscht, sagte: „Die Art und Weise, wie Neuseeland dies getan hat, ist definitiv der richtige Weg.“ Es habe Probleme und Lockdowns gegeben, aber dazwischen hätten die Neuseeländer ein ziemlich freies Leben gehabt. „Und das hat es nirgendwo sonst auf der Welt wirklich gegeben.“ Neuseeland hat zudem sein Gesundheitssystem zu keinem Zeitpunkt überlastet und viele Menschenleben gerettet. Bisher registrierte das Land etwas über 3500 Covid-19-Infektionen und 26 Todesfälle.

Der Experte gestand aber auch ein, dass der No-Covid-Ansatz nicht "als globale Strategie" funktionieren könne. "Dieses Virus wird für immer da sein", betonte er. Irgendwann werde die Krankheit aber ähnlich wie ein Erkältungs- oder Grippeszenario enden, mit dem "wir uns im Winter auseinandersetzen müssen". Früher oder später werde es jeder irgendwann einmal bekommen, so Webby. "Ob heute, morgen, nächstes Jahr oder in ein paar Jahren."