Die Pandemie ist schonungslos. Sie tötete in etwas über einem Jahr bereits drei Millionen Menschen und deckt auf, was in unseren Ländern gut funktioniert und was nicht.

Pandemien sind nichts Neues. Im 20. Jahrhundert starben zwischen 40 und 60 Millionen Menschen in Grippe-Pandemien. Die „Hongkong“-Grippe forderte 1968 circa vier Millionen Todesopfer. An Aids starben seit den 1980er-Jahren rund 33 Millionen der bisher 76 Millionen Infizierten.

Immer reagierten Gesellschaften ähnlich: mit Kontaktvermeidung und Quarantänen, und der Entwicklung von Impfungen und Therapien. Einige Pandemien wie Pocken oder Polio konnten wir so gut wie ausmerzen, mit anderen, wie Tuberkulose (1,5 Millionen Tote jährlich), Malaria und Grippe (je 0,5 Millionen Tote jährlich), haben wir gelernt zu leben.

Neu ist bei Covid der beschleunigte Fortschritt der Medizin. Das Genom des Virus wurde in kürzester Zeit entschlüsselt. Krankenhäuser haben neue Protokolle entwickelt, um Wellen an Patienten aufzufangen und zum größten Teil zu heilen. Die Pharmaindustrie hat in Rekordzeit wirksame Impfstoffe entwickelt.

Eigentlich müssten wir stolz sein, wie die Menschheit diese Prüfung besteht. Tatsächlich aber ist die Stimmung schlecht, „Querdenker“ protestieren, wir sind erschöpft. Warum?

Weil wir in der Regierungskunst viel langsamer Fortschritte machen als in der Medizin. Natürlich ist es schwierig, in dieser neuartigen Krise gut zu regieren. Kein Land hat sich ausgezeichnet – auch Neuseeland nicht, dort war es eher die Gnade der weiten Ferne.

Im Frühjahr 2020 konnten wir wenig testen, die Gesundheitssysteme waren nicht digitalisiert, die Verwaltung war überfordert, mit der Technologie des 20. Jahrhunderts Infektionsketten nachzuvollziehen. Daher war ein Lockdown nötig.

Rasch wurde jedoch klar, dass wir mit dem Virus leben lernen müssen, und dass erst Impfungen wirklich Abhilfe schaffen würden. Wir wussten also, dass es ein Marathon wird. Erfahrene Läufer teilen ihre Kräfte ein, wählen eine nachhaltige Geschwindigkeit, und wechseln nicht in Sprints und werden wieder langsam – so ermüdet man viel zu schnell.

Leider machten wir das Gegenteil. Regierungen spielten Polit-Jo-Jo. Kanzler und Minister redeten immer wieder von Öffnungen, vom Licht am Ende eines Tunnels, weckten Hoffnungen, die dann enttäuscht wurden. Sie „fuhren“ fast das gesamte gesellschaftliche Leben „herunter“, als ob Menschen, Restaurants oder Konzerthäuser alte PCs wären, und dann wieder schnell hoch. Sie haben das Maß verloren, wie viele Sprints und Vollbremsungen eine Gesellschaft vertragen kann. 13 Monate Jo-Jo ermüdete Österreich und macht wütend.

Es hätte nicht so sein müssen. Die Schweiz hatte Schulen beinahe ohne Unterbrechung offen (übrigens nicht im Schichtbetrieb), auch Hotels und Skilifte. Über den lockeren niederländischen und den sehr lockeren schwedischen Weg wurde schon viel geschrieben.

Trotz dieser Unterschiede war die Übersterblichkeit 2020 in der Schweiz, in Schweden, in den Niederlanden und in Österreich fast identisch: alle verzeichneten 12 bis 13 Prozent mehr Tote als im langjährigen Durchschnitt. Wie kann es sein, dass vier vergleichbare Länder die Pandemie so unterschiedlich handelten und zum gleichen Ergebnis kamen?

Niemand hat diese Pandemie gut gemanagt, aber einiges können wir lernen:
1.Wir sind mündige und vernunftbegabte Wesen. Natürlich gibt es eine Minderheit, die Regeln nicht einsieht und bricht. Aber Regierungen sollen auf Augenhöhe mit uns reden und Regeln machen, ohne Belehrung und Angstmache. Es heißt, dass Frauen die besseren Corona-Manager seien. Das ist wohl Sexismus. Aber was stimmt, ist, dass Menschen mit höherer Empathie die Kommunikation in der Krise besser führen als Menschen, die auf Selbstdarstellung gepolt sind.

2. Es gibt nicht die eine wissenschaftliche Meinung, sondern Tausende von Studien und Meinungen, aus denen sich ein Konsens bildet. Das verstehen Laien schlecht, jeder schnappt sich gerne eine Studie und ruft: „hier entlang“. Aber kein Hendrik Streeck und kein Christian Drosten will und soll die Macht übernehmen; Politiker sollten sich nicht hinter Virologen verstecken. Es gibt nicht eine „richtige“ politische Antwort, wir brauchen eine ehrliche gesellschaftliche Debatte, nicht geheim tagende Krisenstäbe, und erfahrene Anführer, die entscheiden, aber bitte nur so viel wie nötig. Kein Jo-Jo.

3. Der größte Sündenfall der Politik ist die lange Schließung der Schulen. Wir wissen, dass Kinder sich anstecken und andere anstecken. Aber im Gegensatz zu Erwachsenen sind Kinder in der Entwicklung, brauchen Präsenzunterricht und den Umgang mit anderen. Erwachsene können sich leichter ein gutes Jahr kasteien. Bei Kindern kann das lebenslange Folgen haben, vor allem für die sozial schwächsten. Schulen müssen als Letzte schließen und als Erste wieder aufmachen, so wie das die Schweiz erfolgreich vorlebt.

4. In einer Pandemie, einer Jahrhundertkrise, braucht es gerade in einem kleinen Land die besten Köpfe an der Spitze. Im März 2020 schon hätte der Bundespräsident eine von allen Parteien unterstützte Regierung mit einer einzigen Priorität angeloben sollen: der Bezwingung der Pandemie. In guten Zeiten kann man sich Politdarsteller in Führungspositionen eher leisten, die Kosten sind versteckt und erst langfristig sichtbar. In der Krise sieht man schnell, wenn Kaiser und Provinzfürsten keine Kleider haben.

Die USA und Großbritannien haben viel falsch gemacht, aber das Wichtigste, die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen, haben sie Managern und dem Militär überlassen, mit großem Erfolg. In Europa und Österreich sind beamtete Philosophen und Psychologen an der Aufgabe gescheitert. Ja, wir haben „nur“ ein paar Monate Verzögerung, aber das sind Milliarden an unnötigen Verlusten und viele Tausende, die noch leben könnten.

Wenn ein neues Virus endemisch wird, muss die Bevölkerung immun werden, durch Ansteckung oder Impfung, und wir müssen gerade in reifen demokratischen Gesellschaften jedes Leben schützen. Aber der Reifegrad einer Gesellschaft misst sich eben auch daran, wie gut sie regiert wird.

Es ist Zeit, dass wir unsere Lektionen lernen.