"Die Öffnung muss sehr vorsichtig geschehen",  warnte Portugals sozialistischer Regierungschef António Costa seine Landsleute. „Wir können kein Risiko eingehen, und wir dürfen das Erreichte nicht aufs Spiel setzen.“ Doch der Appell fand nach Ostern, als der harte Lockdown nach drei Monaten gelockert wurde, nicht durchweg Gehör. Die Bürger stürmten geradezu die gastronomischen Außenterrassen der Straßencafés und Restaurants, die wieder öffnen durften.

„Endlich“, jubelte im portugiesischen TV eine Frau. „Toll, dass wir draußen wieder einen Espresso trinken können. Das hat uns wirklich gefehlt.“ Der tägliche „bica“, wie der Espresso genannt wird, gehört zur portugiesischen Tradition. Entsprechend groß war nun die Freude. Das Fernsehen berichtete live aus Lissabons City, in der man volle Straßencafés sehen konnte. Maximal vier Personen pro Tisch sind erlaubt. Bis 22.30 Uhr darf werktags geöffnet werden, am Wochenende aber nur bis 13 Uhr mittags.

Von einer 7-Tage-Inzidenz von 900 auf 30

Im Januar hatte Portugal mit einer 7-Tage-Inzidenz von annähernd 900 Fällen pro 100.000 Einwohner die höchste Ansteckungsrate der Welt. Die Hospitäler standen vor dem Kollaps. Vor den Krankenhäusern stauten sich die Ambulanzen, weil es keine freien Betten mehr gab. Auch die Leichenhallen waren überfüllt. Portugal musste sogar um internationale Hilfe bitten: Deutschland schickte deswegen Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr, um den medizinischen Notstand zu lindern.

Drei Monate später hat sich die Lage erstaunlich entspannt. Die wöchentliche Fallhäufigkeit pro 100.000 Menschen fiel auf annähernd 30. Das ist nach Island die niedrigste Inzidenz in ganz Europa.

Wie hat man das geschafft?

Wie hat Portugal es geschafft, die Ansteckungskurve auf dieses bewundernswert niedrige Niveau zu drücken? Die Antwort ist einfach: Mit einem sehr konsequenten, aber schmerzvollen Lockdown des öffentlichen Lebens, der ab Mitte Januar galt.

Die Kernelemente: Eine 24-Stunden-Ausgangsperre für alle Bürger, die nur aus zwingendem Grund, etwa zum Einkaufen, Arbeiten oder für einen kurzen Spaziergang in Wohnungsnähe, gebrochen werden durfte. Eine gesetzliche Homeoffice-Pflicht für alle Unternehmen, in denen dies möglich war. Die Schließung von Schulen, Universitäten, Gastronomie und Einzelhandel (außer Supermärkten). Und die Abriegelung der Grenzen, die nur für Personen mit Wohnsitz in Portugal und für Pendler durchlässig waren.

Jetzt, nach der drastischen Senkung der Infektionen, wagt das Land eine schrittweise Rückkehr zur Normalität: Gastronomische Terrassen, Friseure, kleine Geschäfte bis 200 Quadratmeter und Schulen (für Kinder bis 15 Jahren) öffnen wieder. Auch Museen machen wieder auf. Ebenso Fitnessstudios, wenn auch ohne Gruppenaktivitäten. Aber der Zwang zum Homeoffice bleibt. Genauso wie die Mahnung der Regierung, die zurückeroberten kleinen Freiheiten nicht zu missbrauchen und doch bitte möglichst zu Hause zu bleiben.

Blick auf die nächsten Wochen

Die nächsten Wochen wird man sehen, ob Portugals Weg wirklich erfolgreich war. Die nationalen Gesundheitsbehörden warnen bereits, dass auch der Musterknabe Portugal nicht vor einer neuen Coronawelle sicher und das „portugiesische Wunder“ möglicherweise nicht von langer Dauer sei. Der nationale Reproduktionswert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt, steige bereits wieder. Vor allem die Urlaubsküste Algarve und die Ferieninsel Madeira machen Sorgen, weil dort die Ansteckungskurven schon wieder bedenklich nach oben gehen.