Es läuft gut für Vor­arl­bergs Lan­des­haupt­mann Mar­kus Wall­ner (53). Seit zehn Tagen gibt es nur Er­freu­li­ches zu be­rich­ten, wenn der Lan­des­va­ter vor die Fern­seh­ka­me­ras tritt. Am Diens­tag ver­gan­ge­ner Woche durf­te er Ös­ter­reichs neuen Ski­lieb­ling Ka­tha­ri­na Li­ens­ber­ger hoch­le­ben las­sen. Den sym­pa­thi­schen Shoo­ting­star, der drei Tage zuvor beim WM-Sla­lom in Cor­ti­na ganz Vor­arl­berg mit einer be­son­de­ren Mi­schung aus Un­be­küm­mert­heit und Kil­ler­instinkt ent­zückt hatte. Die Sla­lo­m­ar­tis­tin – 25 Jahre nach Pa­trick Ort­lieb die erste Gold­me­dail­len­ge­win­ne­rin aus dem Länd­le – ist in Göfis, quasi vor der Haus­tür des Lan­des­haupt­manns, auf­ge­wach­sen. Man kennt sich.

Es war aber nur eine kurze Ab­len­kung für Mar­kus Wall­ner. Denn im Hin­ter­grund ar­bei­te­te er längst an einem Coup, der zu Be­ginn die­ser Woche trotz zahl­rei­cher Wi­der­stän­de Rea­li­tät wer­den soll­te. Vor­arl­berg öff­net mehr und schnel­ler als der Rest von Ös­ter­reich.

Wall­ner blieb in der Stun­de sei­nes bis­her größ­ten po­li­ti­schen Er­folgs be­son­nen, fast schüch­tern. Auf der gro­ßen Bühne neben Bun­des­kanz­ler, Ge­sund­heits­mi­nis­ter und Lan­des­haupt­mann-Kol­le­gen er­öff­ne­te er sein State­ment mit der etwas höl­zer­nen For­mu­lie­rung, dass es ein „in­ter­es­san­ter“ Mo­ment für Vor­arl­berg sei. Wall­ner, der sich bis­her schwertat, aus dem gro­ßen Schat­ten sei­nes Vor­gän­gers und po­li­ti­schen Zieh­va­ters Her­bert Saus­gru­ber zu tre­ten, ist zu sehr Rea­list, um nach einem ers­ten Etap­pen­sieg eu­pho­risch zu wer­den. Die Dinge än­dern sich in Co­ro­na­zei­ten zu schnell.

Es ist nicht lange her, da stand Vor­arl­berg am an­de­ren Ende. Mit einer In­zi­denz von 850 war Vor­arl­berg Ta­bel­len­letz­ter im Bun­des­län­der-Ran­king. Ein Um­stand, der mit der Vor­arl­ber­ger Iden­ti­tät nicht ver­ein­bar ist. Das klei­ne, oft wi­der­spens­ti­ge und manch­mal stre­ber­haft er­schei­nen­de Bun­des­land will trotz sei­ner Klein­heit immer vorn mit­mi­schen. Der ale­man­ni­sche An­spruch ist es, in Be­rei­chen, die man durch Hirn, Herz, Krea­ti­vi­tät und Fleiß be­ein­flus­sen kann, ab­zu­lie­fern. Heißt ex­em­pla­risch: in Ös­ter­reich die größ­te Wirt­schafts­kraft pro Kopf und die we­nigs­ten Ar­beits­lo­sen zu haben, am we­nigs­ten Schul­den zu ma­chen, die bes­ten Lehr­lin­ge aus­zu­bil­den oder sich die schöns­ten Häu­ser von den bes­ten Ar­chi­tek­ten bauen zu las­sen.

Der Ehr­geiz, auch in der Co­ro­na-Be­kämp­fung Mus­ter­schü­ler zu wer­den, war im Herbst beim Blick auf das Ta­bel­len­en­de im In­zi­denz-Ran­king ge­weckt. Die Ärmel wur­den hoch­ge­krem­pelt. Vor­arl­berg war das erste Bun­des­land, das An­fang De­zem­ber flä­chen­de­cken­de Tests anbot. Man ließ sich auch nicht aus der Ruhe brin­gen, als die Nörg­ler und Bes­ser­wis­ser bei einer Teil­nah­me von nur etwa einem Drit­tel der Be­völ­ke­rung von einem Miss­er­folg spra­chen. Die Ex­per­ten im Länd­le ana­ly­sier­ten viel­mehr, wen man nicht er­reicht hatte und wie man das in Zu­kunft bes­ser ma­chen kann. So nah­men vor allem junge Men­schen und sol­che mit mi­gran­ti­schem Hin­ter­grund die Test-Mög­lich­kei­ten kaum wahr. „Es reicht halt nicht, deut­sche Texte in an­de­re Spra­chen zu über­set­zen“, bringt es Armin Fid­ler, wis­sen­schaft­li­cher Be­ra­ter der Vor­arl­ber­ger Lan­des­re­gie­rung, auf den Punkt. Der Ge­sund­heits­ex­per­te mit WHO- und Welt­bank-Hin­ter­grund weiß nach 30 Jah­ren Aus­lands­er­fah­rung, wovon er spricht. „Neh­men wir die tür­ki­sche Be­völ­ke­rung, die in Vor­arl­berg sehr stark ver­tre­ten ist. Sie müs­sen an deren Mei­nungs­bild­ner ran­kom­men. An Imame, aber auch an Fuß­ball­spie­ler.“ Bei den Ju­gend­li­chen helfe es hin­ge­gen sehr, dass nun an den Schu­len ge­tes­tet werde.

Aber vor allem seien die Co­ro­na-Mas­sen­tests ein her­vor­ra­gen­des Um­feld ge­we­sen, um lo­gis­tisch zu ler­nen. „Heute sind wir so weit, dass Vor­arl­berg – hät­ten wir nur ge­nü­gend Impf­stoff – in einer Woche alle Bür­ger des Lan­des durch­imp­fen könn­te.“ Das ist der ex­zel­len­ten Ver­net­zung im klein­räu­mi­gen Vor­arl­berg ge­schul­det.

„Wir waren aber auch das erste Bun­des­land, das über ein Netz von 250 nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten in allen Lan­des­tei­len An­ti­gen­tests durch­ge­führt hat. Da­durch konn­ten wir sehr viele sym­pto­ma­ti­sche Pa­ti­en­ten aus dem Kreis­lauf neh­men.“

Der Ge­sund­heits­ma­na­ger ver­weist aber auf noch viel tri­via­le­re Er­folgs­kri­te­ri­en. „In Vor­arl­berg haben wir eine her­vor­ra­gen­de Er­reich­bar­keit der Test­sta­tio­nen. Ein enges Netz mit schnel­ler Er­reich­bar­keit durch öf­fent­li­che Ver­kehrs­mit­tel führt zu einer hö­he­ren Test­be­reit­schaft.“ Aber auch bei der Di­gi­ta­li­sie­rung der Pro­zes­se – einem wei­te­ren Schlüs­sel für die Ak­zep­tanz der Tes­tun­gen in der Be­völ­ke­rung – habe man sich nicht auf ex­ter­ne Fir­men oder bun­des­wei­te Lö­sun­gen ver­las­sen. „Bis­her konn­ten wir die di­gi­ta­le In­fra­struk­tur für An­mel­dun­gen, Aus­wer­tun­gen und Ver­stän­di­gun­gen kom­plett in­hou­se zur Ver­fü­gung stel­len“, ver­weist Fid­ler auch hier auf den ei­gen­stän­di­gen Vor­arl­ber­ger Weg. Auf­ge­baut wurde auf er­prob­te und funk­tio­nie­ren­de Sys­te­me der Lan­des­warn­zen­tra­le.

Fied­ler räumt auch mit der Mär auf, dass Vor­arl­berg schlicht von einer aus epi­de­mio­lo­gi­scher Sicht idea­len geo­gra­fi­schen Lage pro­fi­tie­re. Die grenz­na­hen Re­gio­nen in Deutsch­land und der Schweiz wei­sen eben­falls sehr nied­ri­ge Zah­len aus. Das sei kein Wun­der, da dort nur in sehr be­schei­de­nem Aus­maß ge­tes­tet werde. „Zu den deut­schen Re­gio­nen ist das Test­ver­hält­nis in etwa 10:1, zur Schweiz, in der es über­haupt keine kos­ten­lo­sen Tests gibt, noch höher.“ Ak­tu­el­le Zah­len un­ter­mau­ern Fid­lers Sicht­wei­se. So wies die Schweiz am Mon­tag eine Po­si­ti­vi­täts­ra­te von 5,3 Pro­zent aus, wäh­rend Vor­arl­berg in der letz­ten Fe­bru­ar­wo­che bei knapp 63.000 Tests eine Rate von her­vor­ra­gen­den 0,13 Pro­zent prä­sen­tier­te. Auch die Ko­ope­ra­ti­ons­be­reit­schaft im Bo­den­see­raum über Lan­des­gren­zen hin­weg sei nach wie vor äu­ßerst man­gel­haft. „An­statt enger zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, ste­hen an der deut­schen Gren­ze 16 Grenz­wäch­ter mit Ma­schi­nen­pis­to­len“, schüt­telt der Ge­sund­heits­ma­na­ger, der di­rekt an der Gren­ze wohnt, den Kopf.

Sehr wohl ge­hol­fen habe das Ver­bot des Ein­kaufs­tou­ris­mus aus der Schweiz und die Ab­schot­tung Rich­tung Tirol. Da­durch sei die Aus­brei­tung der Mu­ta­tio­nen Rich­tung Wes­ten ge­bremst wor­den. Die bri­ti­sche Mu­ta­ti­on hat in Vor­arl­berg einen An­teil von „nur“ 27 Pro­zent am Ge­samt­ge­sche­hen, in Wien hin­ge­gen von 70 Pro­zent. Fied­ler macht sich aber auch keine Il­lu­sio­nen. „Der Mu­ta­ti­ons­an­teil wird ir­gend­wann über­all bei 100 Pro­zent lie­gen. Es bleibt also ein Wett­lauf mit der Zeit. Auch in Vor­arl­berg.“

Das weiß auch Lan­des­haupt­mann Mar­kus Wall­ner, wenn er seine Worte auf der gro­ßen Bühne mit Be­dacht wählt. Vor­arl­berg und seine Men­schen be­kom­men eine Chan­ce, nicht mehr. Ganz Ös­ter­reich wird ab dem 15. März über den Arl­berg schie­len und viel­leicht wie bei einem Ski­ren­nen die Dau­men drü­cken, dass es klappt mit der Zu­rück­er­obe­rung von Frei­hei­ten, die wir lie­ben.

Und am Ende kommt er dann doch noch ein wenig durch, der Vor­arl­ber­ger Stolz. „Unser Bun­des­land geht voran. Nach un­se­rer Art und Weise: ver­ant­wor­tungs­voll, aber auch mutig.“