Die Pandemie hat das österreichische Bildungssystem kalt erwischt – das wurde im ersten Lockdown sichtbar, und zeigte sich noch einmal in den vergangenen Wochen vor Semesterschluss.

"Distance Learning hat im Wintersemester an manchen Standorten zwar um einiges besser funktioniert als im Frühjahr, aber das gilt vor allem in Schulen mit Kindern aus bildungsnahen Schichten" bestätigt Hanno Lorenz, Ökonom der Agenda Austria. Dass es keinen digitalen Masterplan für den Herbst gab, sei "ein großes Versäumnis, das Folgen haben wird, die Bildungslücken werden sich im nächsten Schuljahr zeigen", ist Lorenz überzeugt.

Finnen digital gewappnet fürs Distance Learning

Von Bildungslücken oder gar einer verlorenen Generation spricht in Finnland niemand. "Dieses Problem haben wir auch nicht", sagt Marjaana Ajanto, die an einem Gymnasium in Lauttasaari, einem Außenbezirk von Helsinki, unterrichtet. Und das, obwohl auch die Finnen im Frühjahr mit einem harten Lockdown inklusive Schulschließungen auf den Anstieg der Infektionsrate reagierten und die Oberstufe seit Dezember im Distanzunterricht ist - ebenso wie Schüler aller Schulstufen, die in Quarantäne sind.

Zu Reibungsverlusten kam es im Bildungssystem trotzdem nicht, denn die Finnen waren digital für diese Ausnahmesituation gewappnet. "Schüler, die keinen Laptop haben, bekommen ein Leihgerät von der Schule", erzählt die Pädagogin. Und weder für sie noch für ihre Schüler war die Nutzung digitaler Lernprogramme Neuland, "solche Programme verwenden wir seit vielen Jahren in fast allen Fächern, und zwar von der ersten bis zur letzten Klasse. Wir Lehrer werden schon in der Ausbildung gut darauf vorbereitet."

Schnell kommunizieren mit "Wilma"

Außerdem gibt es in Finnland "Wilma", eine App, die als digitale Brücke zwischen Lehrern, Schülern und Eltern genutzt wird. "Wir machen alles über 'Wilma', es ist so einfach, damit zu kommunizieren, wir können Nachrichten an die Gruppe schreiben, an einzelne Schüler, oder an die Eltern", schwärmt Ajanto.

Über den Messenger-Dienst werden Schüler und Eltern über Arbeitsaufträge, Tests, Noten und Lernstatistiken informiert. Aber auch wenn ein Schüler im Unterricht fehlt, unter Mobbing leidet oder es andere Probleme gibt, nimmt der Lehrer über "Wilma" Kontakt mit den Eltern auf, und zwar mit der Mutter und dem Vater. "Damit sind nicht nur die Mütter für die Schulangelegenheiten der Kinder zuständig", betont Ajanto.

Und noch eines gilt in Finnland: "Eltern sind keine Lehrer, das dürfen sie auch nicht sein. Diese Aufgabe hat die Schule, wir Lehrer sind dafür zuständig, dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden", sagt die Pädagogin. Das gilt selbstverständlich auch im Distanzunterricht.

Marjaana Ajanto, Pädagogin in einem finnischen Gymnasium: "Eltern sind keine Lehrer."
Marjaana Ajanto, Pädagogin in einem finnischen Gymnasium: "Eltern sind keine Lehrer." © KK

Am Tag nach den Schulschließungen ging der Unterricht digital weiter, über Google Classroom hat die Pädagogin ihren Unterricht, Tests und Prüfungen in Echtzeit abgehalten. Zwei Wochen vor Ferienbeginn wurden alle Schüler noch einmal in die Klassen geholt, dort wo es notwendig war, gab es Förderunterricht. "Mit dem Stoff sind wir bis jetzt gut durchgekommen", bilanziert Ajanto. Wobei natürlich auch die Kinder in Finnland unter der sozialen Isolation gelitten haben.

Pädagogen leisten viel - und erhalten Wertschätzung

"Ich habe mit den Kindern viel geredet, versucht mit Gruppenarbeiten entgegenzuwirken, denn als Lehrer tragen wir auch die soziale Verantwortung", erzählt die Finnin, die ihre Lehramtsausbildung 2014 gemacht hat und sich dafür einem strengen Auswahlverfahren stellen musste. Ein Verfahren, das nur jeder zehnte Bewerber tatsächlich auch besteht.

Im Gegenzug dafür erfahren finnische Pädagogen hohe Wertschätzung. "Wir haben das Vertrauen der meisten Eltern, das ist ganz wichtig in diesem Beruf", betont Ajanto, die als zweifache Mutter auch die andere Seite kennt. Beide Kinder waren im Fernunterricht. "Mein Sohn Antti ist zehn, er hat im Fernunterricht alles alleine erledigt. Bei meiner Tochter war das nicht so einfach, sie hat erst im August mit der Schule begonnen, aber auch das hat geklappt, denn selbst für Schulanfänger gibt es tolles digitales Lehrmaterial. Mit ihrem Lehrer haben wir uns täglich über Wilma ausgetauscht, so wusste er, wie es dem Kind geht und wir haben gesehen, dass unserer Kind gut vorankommt."

Hanno Lorenz, Ökonom der Agenda Austria: "Mit Lernsoftware lässt sich Unterricht individueller gestalten."
Hanno Lorenz, Ökonom der Agenda Austria: "Mit Lernsoftware lässt sich Unterricht individueller gestalten." © Markus Rössle

Den Einsatz von Lernsoftware von der ersten Schulstufe an, kann Lorenz nur befürworten: "Damit lässt sich der Unterricht individueller gestalten, Themen besser vertiefen, Fortschritte leichter ablesen, Lehrer könnten sich mehr auf ihre pädagogischen Fähigkeiten konzentrieren." Mit dem Ankauf von Endgeräten sei es nicht getan. "Digitales unterrichten bedeutet auch nicht, dass man das Tafelbild abtippt, wie das jetzt oft praktiziert wird", betont der Ökonom.