Bald wäre es für sie – der inneren Uhr und der Natur folgend – wieder an der Zeit, aufzubrechen – doch viele bleiben in unseren Gefilden oder verkürzen ihre Routen: Die Rede ist von den Zugvögeln, die sich den klimatischen Veränderungen folgend neu ausrichten. Einfach gesagt: Die Erwärmung macht einen "Umzug" überflüssig.

Graugänse auf neuen Wegen

"Die Verbreitungsgebiete ändern sich bei vielen Arten aufgrund der Klimakrise", stellt Erwin Nemeth von BirdLife Österreich im Interview klar. Der Vogelzug ist im akuten Wandel: "Ein gutes Beispiel dafür sind die mitteleuropäischen Graugänse, die wie fast alle europäischen Gänsearten ihre Zugwege stark veränderten. Anstatt nach Nordafrika – die letzte in Mitteleuropa beringte Graugans wurde dort zuletzt 2004 in Tunesien festgestellt – zu fliegen, ziehen sie nicht mehr so weit. Ein Drittel bleibt sogar ganzjährig hier, z. B. am Neusiedler See", so der Ornithologe. Ähnlich ist die Lage bei Staren. Andere fliegen entgegen früheren Gewohnheiten nur bis zum Balkan.



Kurzstreckenflieger sind flexibler, können ihre Reise nach Gegebenheiten früher beenden. Bei Langstreckenziehern ist der Zugweg fester "verdrahtet". Auch der zeitliche Aspekt spielt mit – viele Vögel kommen eher zurück, um sich der früher einsetzenden Vegetation anzupassen: "Das Futterangebot für die Jungenaufzucht ist früher optimal. Vögel, die hier überwintern, können sich meist einfacher an kältere Bedingungen anpassen", erklärt Nemeth.

Die Nachtigall, die zwischen Weinviertel und Nordburgenland lebt, ist auch bedroht
Die Nachtigall, die zwischen Weinviertel und Nordburgenland lebt, ist auch bedroht © Michael Dvorak/BirdLife Österreich



Am Ende ist es eine Frage der eigenen Ressourcen: In den Süden zu ziehen, ist für einen Vogel eine Kraftanstrengung und oft ein lebensgefährliches Unterfangen. Wenn die Wintersterblichkeit hierzulande sinkt, sind die Individuen, die bleiben, besser dran. Auf der anderen Seite kommen Vögel, die früher im Süden lebten, verstärkt zu uns, weil die Gebiete, in denen sie sonst lebten, für sie nicht mehr bewohnbar sind: "Migranten", die ungünstigen Verhältnissen entfliehen. Nemeth will nicht von "invasiven Arten" sprechen: "Sie richten keinen Schaden an und verdrängen auch keine hiesigen Arten, sie werden neue Einheimische."

Der Weißstorch folgte zumindest früher dem Motto "Einmal Afrika und zurück"
Der Weißstorch folgte zumindest früher dem Motto "Einmal Afrika und zurück" © Michael Dvorak/BirdLife Österreich



Doch welchen Anteil hat der Klimawandel genau? Die Veränderung der Überwinterungsgebiete oder Rastplätze der Vögel wird durch den Klimawandel beeinflusst. Direkte Einflüsse des Menschen sind aber oft noch gravierender – auch wenn diese wiederum durch den Klimawandel ausgelöst werden: "Wenn wir z. B. vermehrt Dürren und gleichzeitig höhere Temperaturen haben, kommt es zu erhöhtem Wasserbedarf für die Landwirtschaft. Wenn es zu keiner Anpassung der Agrarkulturen kommt und dann auch noch zum Teil sehr verschwenderisch mit der Ressource Wasser umgegangen wird, führt das in weiten Teilen Europas zu sinkenden Grundwasserpegeln. Das bedroht Feuchtgebiete, die stark vom Grundwasser abhängig sind – und häufig von Zugvögeln genutzt werden."



Grundsätzlich wurde das Überleben für heimische Vogelarten sehr schwierig: Es gibt einen massiven Rückgang an Offenland-Vogelarten, die in unserer Kulturlandschaft leben: "Verantwortlich sind nicht zwischenartliche Konkurrenz oder die Klimakrise, sondern vor allem die Intensivierung unserer Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten", so Nemeth.

Der Kiebitz, bekannt für sein "kiju-wit", war einst ein (Feucht-) Wiesenbewohner
Der Kiebitz, bekannt für sein "kiju-wit", war einst ein (Feucht-) Wiesenbewohner © Michael Dvorak/BirdLife Österreich

Bestände von Feld- und Wiesenvögeln halbiert

Die Zahlen sind dramatisch: Die Bestände von Österreichs Feld- und Wiesenvögeln haben sich in den vergangenen 24 Jahren laut "Farmland Bird Index" von BirdLife nahezu halbiert. Die Auswertung im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums zeigt, dass der Bestand heimischer Feld- und Wiesenvögel – gemessen anhand von 23 Indikator-Vogelarten – so niedrig wie noch nie ist: Die biodiverse Verarmung des Kulturlandes und Pestizide zeigen traurige, langfristige Spuren.

Die Singdrossel ist größtenteils ein Zugvogel, dessen Verhalten sich auch ändert
Die Singdrossel ist größtenteils ein Zugvogel, dessen Verhalten sich auch ändert © Johannes Hohenegger/BirdLife Österreich



Der Wandel setzte vor Jahrzehnten ein, fast alle Arten sind mehr oder weniger betroffen. Kann es für die Vogelwelt im Umbruch ein Zurück geben? Nemeths bezeichnende Einschätzung: "Diese Entwicklung ist so wenig oder so viel umkehrbar wie der Klimawandel."