Die marokkanische Touristenhochburg und Millionenstadt Marrakesch steht nach dem schweren Erdbeben unter Schock. Die Zahl der Toten stieg nach Behördenangaben auf inzwischen 2.012. Mindestens 2.059 weitere Menschen wurden verletzt, mehr als die Hälfte davon schwer, wie marokkanische Medien in der Nacht auf Sonntag unter Berufung auf das Innenministerium berichteten. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Trotz zahlreicher Hilfsangebote aus aller Welt hat die Regierung des Landes bisher offiziell keine Unterstützung angefordert. Dieser Schritt ist nötig, bevor ausländische Rettungskräfte eingesetzt werden können. Dennoch halten sich Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen für einen möglichen Flug in das Katastrophengebiet bereit

"Alles um uns herum stürzte zusammen"

Viele Bewohner und Touristen waren nach den heftigen und minutenlangen Erschütterungen am späten Freitagabend in Panik auf die Straßen gelaufen und verbrachten die Nacht im Freien. In Marrakesch wurden vor allem in der Altstadt etliche Gebäude beschädigt.

Der weltberühmte Platz Djemaa el Fna im Herzen von Marrakeschs Altstadt wurde in der Nacht zum Samstag zum Zufluchtsort von Tausenden von Menschen, die dort ausharrten. Sie hatten Angst, in ihre Häuser oder Hotels zurückzukehren. „Wir befanden uns in unserem Hotel in der Altstadt, als plötzlich alles um uns herum zusammenstürzte“, berichtete Irene Seixas, eine junge spanische Urlauberin. „Unser Hotel war gerade erst renoviert worden und ist nicht eingestürzt. Aber überall an den Wänden sah man Risse“, sagte Seixas dem spanischen Rundfunksender RTVE. „Dann sind wir schnell auf die Straße gelaufen.“

Erschütternde Szenen

Auf dem Fluchtweg zum Djemaa-el-Fna-Platz sahen die Touristen erschütternde Szenen. „Zahlreiche Gebäude waren zusammengebrochen. Menschen lagen auf dem Boden“, berichtete der Urlauber Pablo Segarra der spanischen Presseagentur Efe. Ob sich Urlauber unter den Opfern befinden, war zunächst unklar. Österreicher scheinen keine zu Schaden gekommen zu sein. Wirtschaftsminister Martin Kocher gab bekannt, er werde eine für Sonntag geplante Reise in das nordafrikanische Land verschieben. Marokko wird von vielen Touristen aus Spanien und Frankreich, aber auch aus dem deutschsprachigen Raum besucht. Marrakesch ist dabei eines der beliebtesten Reiseziele.

Auf TV-Bildern sah man, wie in einigen engen Gassen der Medina, der historischen Altstadt, Trümmer lagen. Viele Häuser und Basargeschäfte sind dort noch aus Lehm gebaut. Helfer suchten nach Opfern und räumten teilweise mit bloßen Händen Trümmer beiseite. Auch die ockerrote Mauer, welche die Altstadt umgibt und der Marrakesch den Namen „die rote Stadt“ verdankt, wurde beschädigt.

Tragische Schicksale

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von der Katastrophe betroffen. Örtliche Rettungskräfte suchten zusammen mit Soldaten unter Trümmern weiter nach Überlebenden. "Meine Frau, meine Kinder und ich versuchten, das Haus zu verlassen, aber meine kleine Tochter und mein Vater, der 102 Jahre alt ist, blieben. Ich habe versucht, zurückzugehen, um sie herauszuholen, aber vergeblich, mein Vater und meine Tochter sind dort gestorben", schilderte ein Überlebender in der Stadt Imintanoute der Nachrichtenseite Hespress.

Erdbeben der Stärke sieben

Das Erdbeben der Stärke sieben auf der Richterskala hatte sich am Freitagabend kurz nach 23 Uhr ereignet. Das Epizentrum lag nach marokkanischen Behördenangaben rund 75 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Dort, in der Provinz Al Haouz, soll es die meisten Opfer gegeben haben. Spürbar war das Beben aber in ganz Marokko. Auch in den nördlich gelegenen Großstädten Rabat und Casablanca wackelten die Wände. Größere Schäden wurden dort aber nicht gemeldet. An der südspanischen Mittelmeerküste waren ebenfalls leichte Erschütterung vernehmbar.

Die EU, die UN und zahlreiche europäische Staaten boten Marokko Hilfe bei den Rettungs- und Aufräumungsarbeiten an. „Österreich wird jederzeit helfen, wo in den Katastrophengebieten Hilfe benötigt wird“, kündigte auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an.

215 Auslandsösterreicher in Marokko

Österreicherinnen und Österreicher seien nach bisherigem Wissensstand nicht verletzt worden, teilte das Außenministerium am Samstag auf APA-Anfrage mit. Aktuell seien rund 60 Personen reiseregistriert, hieß es. Laut Ministerium befinden sich aktuell rund 215 Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher in Marokko. "Sie wurden noch in der Nacht per SMS und Email kontaktiert und werden aktuell von der Botschaft durchgerufen", sagte eine Sprecherin. In diesem Zusammenhang verwies das Ministerium auch auf den Bereitschaftsdienst (+43 90115 4411), der rund um die Uhr erreichbar sei. Der Flughafen in Marrakesch funktioniere derzeit normal und es gebe genügend Flüge, um zurück nach Österreich zu kommen, teilte das Außenministerium mit.