Für Ihr Buch "Die letzten Männer des Westens" haben Sie sich für eineinhalb Jahre bei Burschenschaften, Neofaschisten und Internethetzern eingeschleust, die sich allesamt dem Kampf gegen den Feminismus verschrieben haben. Woher kam die Motivation dazu?

TOBIAS GINSBURG: Meine Arbeiten kreisten schon immer um Fanatismus, Fundamentalismus und insbesondere um Rechtsextremismus, und seit mittlerweile 14 Jahren habe ich auch immer wieder undercover in diesen Milieus recherchiert. In den letzten zehn Jahren konnten allerdings rechtsextreme Narrative auch im Mainstream Einzug halten – allen voran die Vorstellungen einer "Verweiblichung des Westens", eines gefährlichen Feminismus oder einer finsteren "LGBT-Lobby". Daher beschloss ich, mir diesen Aspekt genau anzusehen: die Verbindung von politischem Männlichkeitswahn, Frauenhass und Rechtsextremismus, und herauszufinden, warum Leute aus der bürgerlichen Mitte damit so gut erreicht werden, auch Männer jenseits der Manosphere.

Was ist die Manosphere?

Die Manosphere bezeichnet antifeministische Strömungen, die in den letzten Jahren sehr an Bedeutung gewonnen haben. Das reicht von sogenannten Männerrechtsaktivisten und Maskulisten über Incels und andere krankhafte Frauenhasser bis hin zu Pick-up-Artists, also Typen, die mit Tipps und Tricks Frauen ins Bett manipulieren möchten. Kurz: Es ist eine sehr heterogene Bewegung, aber sie alle stellen den Kampf gegen Feminismus in das Zentrum ihrer Existenz. Auch bei diesen Menschen habe ich ausführlich recherchiert. Denn auch wenn Antifeminismus keine politische Heimat hat: Mit genau dieser Agitation lassen sich gekränkte Männer zu Kriegern formen. Die Angst um die eigenen Privilegien lässt das rechtsreaktionäre Angebot ziemlich appetitlich erscheinen. Und die extreme Rechte hat das längst begriffen.

Wann und wie begann Ihre Recherche?

Chronologisch begann meine Reise in den USA, ich infiltrierte dort die "Alt-Right". Bei deren Formierung sah man überdeutlich, wie diese antifeministische Rhetorik als Radikalisierungsinstrument funktioniert. Besonders junge Männer wurden massenhaft rekrutiert.

Diese Taktik ist nicht neu, auch die Narrative waren es nicht. Der Angriff auf Demokratie und offene Gesellschaften richtete sich schon immer gerne zunächst gegen die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten. Aber in den USA war das eine monströse Kampagne mit immensem Budget und Erfolg. Das begann nebenbei zu einem Zeitpunkt, wo Frauenfeinde wie später auch Andrew Tate online gerade so richtig präsent wurden. Nur interessierte das damals die Presse noch nicht.

Was war schlussendlich die erschreckendste Erkenntnis Ihrer Recherche?

Es ist brutal, zu sehen, wie schnell eine solche Radikalisierung vonstattengeht und wie jung mitunter die Kinder sind. Junge Männer sind inmitten der Debatte um Gender, Geschlechterrollen und Sex auf der Suche nach Antworten, stolpern in die Manosphere oder gleich in die Arme von rechten Menschenfängern und werden in kürzester Zeit zu knallharten Ideologen. Mit den Versprechen von wahrer Männlichkeit, Stärke und einer traditionellen, "natürlichen" Ordnung rekrutiert die extreme Rechte ganz gezielt – und die kleinen Rekruten verstehen oftmals nicht, was mit ihnen geschieht. Das ist ein Schlag in die Magengrube.

Spielen soziale Medien bei diesem Prozess eine Rolle? Beschleunigen sie die Radikalisierung?

Sicherlich. In erster Linie wird ein viel breiteres Publikum erreicht, und die Akteure können ihre eigentliche Agenda ganz wunderbar verschleiern. Klar, denn kaum ein rechtsextremer Akteur vergrößert seine Anhängerschaft mit offenem Visier. Es ist eben nicht salonfähig, für einen "weißen Ethnostaat" oder gegen die Juden ins Feld zu ziehen. Aber Feminismus zum Feind erklären oder von einer Diktatur der "Wokeness" zu schwafeln? Das ist nicht nur niedrigschwellig, das ist Mainstream! Und wenn man noch etwas Popkultur einflechtet, erreicht mach auch das ganz junge Publikum: "Erst machen sie 'Star Wars' feministisch, dann wird 'Arielle, die Meerjungfrau' schwarz und als Nächstes zerstören Translobby und Kulturmarxisten deine Familie und dein Land."

Von "Star Wars" zu "Arielle" bis hin zum persönlichen Niedergang. Klingt so, als ob Angst auch eine Rolle spielt.

Immens, ja. Da werden Urängste der Männlichkeit angesprochen. Du wirst feminisiert und darfst kein richtiger Mann mehr sein. Macht und Männlichkeit werden hier gleichgestellt. Und dann ist hier dieses Versprechen von Stärke. Wenn du so ein krasser Mann bist wie Andrew Tate, dann hast du die Macht, die dir eigentlich zustünde.

Im Zuge Ihrer Recherche haben Sie mit unterschiedlichen Männern geredet, die in die Manosphere reingezogen wurden. Was vereint diese Männer?

Überraschend wenig. Mehr noch als in den ultrarechten Netzwerken hatte ich es in der Manosphere mit extrem unterschiedlichen Menschen zu tun, von jung bis alt, hochgebildet bis völlig bildungsfern, politisiert bis völlig unbedarft. Aber, egal, ob der Familienvater, der seine Kinder nicht mehr sehen darf, oder pathologische Frauenschläger – alle haben dasselbe Feindbild: den Feminismus. Ein Beispiel: Die Männerrechtsbewegung schreibt sich tatsächliche Probleme auf die Fahne, die Männer häufiger als Frauen betreffen: die Suizidrate, Drogen- und Alkoholsucht oder Obdachlosigkeit. Das alles wird benannt, aber nach Lösungen wird nicht gesucht, denn man meint ja zu wissen, wer allein die Schuld an der Misere trägt: der Feminismus.

Könnte sich dieser Hass gegen den Feminismus folglich auch entladen?

Ja, sicher. Wer "den Feminismus" tatsächlich als Feind und Gefahr begreift, der befindet sich schnell in einer Pipeline nach Rechtsaußen. Jede progressive Idee wird zur Gefahr hochgejazzt, die Angst um die eigenen Privilegien dominiert die Weltwahrnehmung, und man landet in einer horrenden Logik der Notwehr. Aber diese Entwicklung ist natürlich nicht zwingend. Viele bleiben auf dem Level des misogynen Rumnölens stecken, andere schaffen auch den Absprung. Im engen Kern der Manosphere gibt es beispielsweise Leute, die es zum Lebensinhalt haben, Frauen auf Facebook oder Twitter zu bedrohen.

Sie haben vorhin Andrew Tate angesprochen. Es gibt zahlreiche Männer wie ihn in den sozialen Medien. Warum funktionieren diese Personen dort so gut?

Es werden Unsicherheiten und Ängste bespielt. Sexuelle Frustration, Einsamkeit – und es werden einfache Lösungen geboten. Die Lösung sei schlicht: mehr "wahre Männlichkeit". Zum anderen geht es im TikTok-Zeitalter um das höchste Kapital: Aufmerksamkeit. Tate hat im Grunde das gemacht, was unzählige Männer-Coaches, Pick-up-Artists und Youtuber auch vor ihm gemacht haben, er war nur noch ein Stück ekliger. Er gab immer bewusst die frauen- und menschenverachtendsten Argumente von sich und provozierte unsagbar plump. Klar regte das viele auf, aber so generierte er Aufmerksamkeit. Und erreichte dann auch die Menschen, die so verzweifelt sind, dass sie seine gefährlichen Aussagen auch tatsächlich glauben wollten.

Werden von Tates Anhängern auch bewusst Dinge ignoriert, wie zum Beispiel, dass gegen ihn ermittelt wird wegen Menschenhandels?

Viele dürften das ignoriert haben, andere haben sich halb ironisch distanziert, aber ich fürchte, ein guter Teil seiner Anhängerschaft findet das einfach geil. Tate verkörperte eben eine traditionelle Vorstellung von Männlichkeit, die gleichbedeutend ist mit Skrupellosigkeit, Gewalt und Erfolg. Das ist ein bisschen wie Gangster-Rap.

Führt Unsicherheit in der eigenen Männlichkeit zu toxischer Männlichkeit?

Unbedingt, weil es nach wie vor die einfachste Antwort ist. Ich war auch irgendwann mal ein "komischer" Teenager, ein Außenseiter, weil meine Nase in Büchern steckte und ich mit Fußball bis heute nichts anfangen kann. Um Akzeptanz zu finden, legte ich mir also eine ordentliche Portion Aggressivität zu. Weil das die einfachste Lösung war. Die simpelste Form für Jungs, sich Respekt zu erkämpfen. Und so ist es nach wie vor. Wenn dies im Übermaß sogar monetarisiert werden kann, wird's richtig gefährlich.

Wie sollte man als Gesellschaft der Manosphere gegenübertreten?

Die Basis wäre die Aufklärung. Wir neigen dazu, dass wir die schrillsten und gefährlichsten Auswüchse dieser Bewegungen nehmen und uns darüber echauffieren. Das bringt wenig. Wichtiger wäre es sich anzusehen: Was ist das für ein Narrativ, wo kommt es her und was wird da gesagt? Wir müssen uns mit den Inhalten auseinandersetzen – auch wenn das wehtut.

Zum Abschluss noch eine allgemeine Frage: Wie definieren Sie selbst Männlichkeit?

Ich kann hier nur eine simple Antwort geben, aber ich glaube, sie ist sogar was wert. Es gibt so etwas wie DIE Männlichkeit nicht. Die Vorstellungen von Männlichkeiten ändern sich auch immer wieder. Egal, ob man ein schnapstrinkender MMA-Kämpfer ist oder ein bäumeumarmender Häkelenthusiast – beides kann deine Männlichkeit sein, beides ist vollkommen in Ordnung. Sei zufrieden, schade niemandem und sei höflich zu anderen. In dem Moment, wo ich glaube, ich bin nicht Mann genug, wird es gefährlich. Dann rast man einem konstruierten Bild hinterher und schadet als Erstes sich selbst, weil man etwas sein möchte, was man nicht ist.