Sie sind seit Jahresbeginn US-Botschafterin in Österreich. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
VICTORIA KENNEDY: Ich fühle mich sehr geehrt, hier zu sein. Ich habe so viele Menschen getroffen und hatte viel zu tun. Überschattet wurde aber alles von der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar.

In Europa macht dieser Krieg sich auch in hohen Energiekosten und Versorgungsängsten bemerkbar. Befürchten Sie, dass die Solidarität enden und die Stimmung kippen wird?
Putin benutzt Energie und Lebensmittel als Waffe. Aber es ist sehr wichtig, dass wir weiter zusammenstehen und unsere Stimme gegen diese ungerechtfertigte Invasion erheben. Demokratie und unsere gemeinsamen Werte sind gefährdet. Ja, wir müssen alle Opfer bringen – aber der Einfluss auf Russland und Putin durch die Sanktionen ist viel größer als die Auswirkungen in Europa.

Warum sind keine realistischen Friedensverhandlungen in Sicht?
Jeder würde es begrüßen, zu sehen, dass Putin die Waffen niederlegt. Das wäre der schnellste Weg, diesen fürchterlichen Krieg zu beenden. Aber wir wissen alle, dass es eine Einigung nur nach Verhandlungen geben wird. Über den Zeitpunkt können einzig Russland und die Ukraine bestimmen.

Hat auch die Politik der USA dazu beigetragen, dass Russland diesen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, wie Kritiker sagen?
Das ist absurd! Putin hat eine Entscheidung getroffen, einen souveränen Staat zu überfallen – ohne Provokation. Es gab im Vorfeld auch monatelang Versuche, durch Diplomatie einen Weg zu finden, eine Invasion zu verhindern.

Warum wurden all die Informationen und Warnungen, die von US-Geheimdiensten veröffentlicht wurden, nicht ernst genommen?
Die USA haben in einer beispiellosen Art Geheimdienst-Informationen mit der Welt geteilt. Sie haben vorausgesagt, was passieren wird – und die Welt hat das nicht ernst genommen. Aber nach dem Einmarsch haben sich Europa, Regierungen, Unternehmen, Institutionen geeint gezeigt und betont: Das ist nicht unsere Welt, das sind nicht unsere Werte. Das hat sich auch beim G20-Gipfel diese Woche gezeigt.

Bei diesem Gipfel sind US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping für ein mehrstündiges Gespräch zusammengetroffen. Wie wichtig ist es, das zerrüttete Verhältnis zwischen den USA und China wieder auf ein "normales" Level zu bringen?
Es ist ein Prozess, der nur Schritt für Schritt funktioniert. Ich glaube, es war nicht die Intention, mit einer großen Vereinbarung aus diesem persönlichen Meeting zu kommen. Aber es ist wichtig, miteinander zu sprechen. Wir müssen gemeinsam an entscheiden Fragen für diese Welt, wie dem Klimawandel, arbeiten – mit China als Teil der Weltgemeinschaft.

Wie ernst nimmt China das Thema Klimawandel?
Das kann ich nicht beurteilen.

War es klug von Nancy Pelosi, die jetzt den Vorsitz im US-Repräsentantenhaus abgibt, nach Taiwan zu reisen?
Kongress-Mitglieder reisen seit über 50 Jahren nach Taiwan, es gab unzählige Delegationen. Das war eine künstliche Aufregung.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen den USA und China in der Amtszeit von Joe Biden im Vergleich zur Ära Trump verändert?
Wir haben eine starke Handelsbeziehung mit China. Aber wir haben auch Diskussionspunkte, die der Präsident angesprochen hat.

Victoria Kennedy im Interview mit Chefredakteur Wolfgang Fercher
Victoria Kennedy im Interview mit Chefredakteur Wolfgang Fercher © Markus Traussnig

Die Midterm-Elections in den USA sind für die Demokratische Partei erstaunlich gut ausgegangen. Wie wichtig ist das für Präsident Biden?
Ich glaube, das war vor allem wichtig für die Demokratie. Die Partei des amtierenden Präsidenten verliert bei den Midterms fast immer, diesmal war es nicht so. Die Beteiligung von jungen Menschen und Frauen war enorm. Ich wurde in den letzten Monaten oft gefragt, ob die Demokratie in den USA gefährdet ist – jetzt haben wir gesehen, dass sie pulsierend ist, dass Menschen mitbestimmen wollen.

Wie gespalten nehmen Sie die USA wahr?
Es ist ein diverses Land, aber die Mehrheit der Menschen glaubt an die Demokratie. Das ist das Wichtigste.

Biden wurde viel kritisiert und hatte schlechte Umfragewerte. Wird sich jetzt der Blick auf seine Amtszeit verändern?
Umfragen gehen rauf und runter. Wir sollen auf wirkliche Errungenschaften blicken. Und die sind außergewöhnlich und aus meiner Sicht historisch. Er hat gesagt, dass die Diplomatie zurück ist, er stärkt die transatlantischen Beziehungen, hat die USA zurück in das Pariser Klimaabkommen geführt, mit neuen Gesetzen dafür gesorgt, dass wir stark in Solar- und Windenergie sowie in die Modernisierung veralteter Infrastruktur investieren. Und unter dem Chips Act werden auch österreichische Firmen interessante Investitionen tätigen können.

Einige von Donald Trump unterstützten Kandidaten mussten empfindliche Niederlagen einstecken. Kurz darauf hat Trump angekündigt, 2024 wieder als Präsident kandidieren zu wollen. Wie groß ist Ihre Angst vor seinem Comeback?
Ich habe keine Ahnung, es ist auch nicht wichtig. Ich verschwende keine Zeit damit. Für die Welt ist wichtig, ob man sich auf die USA verlassen kann.