Ein Grüner Bundesparteitag schloss am Wochenende neue AKW-Brennelemente und einen Weiterbetrieb des Atommeilers Emsland über 2022 hinaus aus. Dies wurde als Rückenstärkung für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gewertet, dessen Verhandlungsspielraum damit aber auch eingeschränkt wurde.

Die etwa 800 Delegierten unterstützten mit großer Geschlossenheit nicht nur Habecks Linie, für zwei Atomkraftwerke einen Reservebetrieb bis Mitte April 2023 zu ermöglichen. Sie setzten sich auch sehr deutlich für Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Auch der Kurs bei den Entlastungen angesichts hoher Energiepreise und Rekordinflation erhielt großen Rückhalt.

Knappe Mehrheit für Kohle-Deal

Allerdings ging der Parteitag mit einer Zitterpartie zu Ende. Nur mit knapper Mehrheit lehnten die Delegierten einen Vorstoß gegen die Vereinbarung zum Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen 2030 ab. Die jüngste politische Übereinkunft der grün geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Land mit dem Energiekonzern RWE sieht unter anderem vor, zwei Braunkohlekraftwerke länger laufen zu lassen, bis 2024, aber den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen.

Insgesamt 315 Delegierte stimmten gegen einen entsprechenden Antrag der Grünen Jugend, 294 Delegierte stimmten am Sonntag in Bonn dafür. Damit gaben die Grünen auch Grünes Licht dafür, dass für den Kohleabbau die Siedlung Lützerath in Nordrhein-Westfalen abgerissen wird. Sie war in den vergangenen Jahren zu einem Symbol für die Klimaschutzbewegung geworden. Der Abstimmung war eine hitzige Debatte vorangegangen, in der sich auch die Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future mit scharfer Kritik zu Wort meldete.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hielt dagegen und rief die Partei auf, stolz auf ihre eigenen Erfolge zu sein.

"Es lohnt sich, in der Regierung zu sein", sagte Habeck beim Parteitag und räumte zugleich Reibereien in der Bundesregierung ein. "Ich will nicht schönreden, dass es an vielen Stellen manchmal hakt, und es ist manchmal auch gar nicht schön anzugucken." Er unterstrich sein Vorhaben, einen Weiterbetrieb der Atommeiler Isar II und Neckarwestheim II bis Mitte April 2023 als Reserve zur Stabilisierung des Stromnetzes zu ermöglichen.

Der Plan liegt aber auf Eis: Die FDP beharrte auf einem Weiterbetrieb des AKW Emsland und einer Verlängerung der Laufzeiten bis Frühjahr 2024. In der Koalition hieß es, Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Habeck wollten noch am Sonntag einen weiteren Lösungsversuch unternehmen, um damit auch einer Einigung bei der Umsetzung einer Gaspreisbremse den Weg zu bereiten.

Friedens- und Sicherheitspolitik

In der Friedens- und Sicherheitspolitik unterstrichen die Grünen ihren selbsterklärten Anspruch, sich pragmatisch der Realität zu stellen. Die Regierungsverantwortung sei keine Last oder Bürde, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). "Was wir nicht tun – und das ist der Unterschied auch zur Vorgängerregierung – uns in dieser Zeit wegzuducken." Die Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine entspreche einer Friedens- und Menschenrechtspartei. "Eigentlich müsste dieser Krieg nicht da sein, aber er ist nun mal da. Und deswegen übernehmen wir diese Verantwortung", sagte Baerbock, die auf dem Parteitag wie Habeck mit großem Applaus bedacht wurde. Nimmt man Dauer und Häufigkeit des Beifalls als Gradmesser, kam Baerbock bei den Delegierten etwas besser an.

Die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour forderten mehr und schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine. Neben humanitärer Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete brauche es auch militärischen Beistand, sagte Nouripour. "Das ist das Gebot der Stunde, dass wir so schnell wie möglich helfen." Lang attackierte den Oppositionsführer im Bundestag, CDU-Chef Friedrich Merz. Dieser habe gezeigt, "dass es gut ist, dass er keine Regierungsverantwortung hat in diesem Land". Verantwortung heiße nicht, auf Angst zu setzen.

Auf dem ersten Bundesparteitag der Grünen seit Amtsantritt der Koalition mit SPD und FDP fanden Anträge gegen die Partei- und Regierungslinie nur wenige Befürworter. So scheiterten Forderungen nach einem Nein zum AKW-Reservebetrieb, nach einem Stopp schwerer Waffenlieferungen in die Ukraine oder nach einem Widerruf der Rüstungsexport-Genehmigung nach Saudi-Arabien.