An jenem Tag "stolperte" das deutsche Ehepaar Erika und Helmut Simon in 3.210 Metern Höhe am Tisenjoch im Südtiroler Teil der Ötztaler Alpen über eine 5.300 Jahre alte Leiche aus der Jungsteinzeit bzw. Kupfersteinzeit. "Ötzi" war geboren - und feiert am Sonntag nach medialen Gesichtspunkten seinen 30. "Geburtstag".
"Ötzi" - ein Name ging um die Welt - und tut es noch immer. Und wurde zum Synonym für alles scheinbar Vergängliche, das doch überraschend wieder gegenwärtig werden kann. Ob Populärkultur oder Wissenschaftswelt - der "Mann aus dem Eis" wurde und blieb ein globaler Dauerbrenner.
Die Gletschermumie war zunächst, in Unkenntnis ob der Sensation des Fundes, mittels Skistöcken und Presslufthammer dem ewigen Eis entrissen worden. Das Resultat dieser unsanften Bergung: Schwere Verletzungen an der linken Hüfte und am linken Bein hinab zum Unterschenkel. Nach der "Befreiung" wurde zudem bei der "Einsargung" der linke Oberarmknochen des Eismannes gebrochen.
Am 23. September 1991 war die Leiche zur wissenschaftlichen Untersuchung nach Innsbruck gebracht worden. Jedoch am 2. Oktober hatten Vermessungstechniker eindeutig festgestellt, dass der Eismann exakt 92,56 Meter von der italienisch-österreichischen Grenze entfernt auf Südtiroler Hoheitsgebiet gelegen hatte. Offiziell im Tal gemeldet wurde der Leichenfund vom Wirt einer Berghütte in der Nähe des Fundortes. Weil die Carabinieri aber "keine Lust" zur Bergung hatten, wurde die Fundmeldung kurzerhand nach Nordtirol "abgeschoben".
Rund sechs Jahre nach Ötzis Fund kam es schließlich zu einer Abmachung über die Rückführung des Eismannes nach Südtirol. Im Jänner 1998 trat die Gletscherleiche ihren letzten Weg an. Von Innsbruck wurde sie in einem Kühlcontainer nach Bozen transportiert, wo der Mann aus dem Eis in einem neu eingerichteten Museum, dem Südtiroler Archäologiemuseum bzw. "Ötzimuseum", seine zweite letzte Ruhe fand.
Nicht nur der Fundort der Gletscherleiche löste Querelen aus. Das deutsche Ehepaar hatte ursprünglich 300 Millionen Lire (rund 155.000 Euro) Finderlohn gefordert. Das Land Südtirol wollte den Nürnbergern aber nur 50.000 Euro zahlen. Langjährige Prozesse waren die Folge. Im Jahr 2010, 19 Jahre nach dem Sensationsfund, konnte der Streit schließlich beigelegt werden. Die Familie Simon erhielt 175.000 Euro. Helmut Simon war 2004 bei einer Wanderung im Gamskarkogel-Gebiet bei Bad Hofgastein in Salzburg in den Tod gestürzt.
"Ötzi" - eine Fundgrube bzw. ein Paradies für Forscher. Dies hat sich über all die Jahre bis heute nicht geändert. Parodontitis, Borreliose, Laktoseintoleranz, Gallensteine, Arterienverkalkung und Würmer - die Forschung an der Gletscherleiche "Ötzi" hatte etwa dessen mannigfaltigen Krankheiten zutage gefördert. Wissenschafter untersuchten nicht nur seine Tätowierungen, seinen Mageninhalt und seine Darmbakterien, sondern fanden auch Verwandte, rekonstruierten ihn und gaben ihm sogar eine Stimme.
30 Jahre nach dem Fund hat die Forschung bereits eine Vielzahl der Rätsel rund um die über 5.000 Jahre alte Gletscherleiche gelöst. "Ötzi" war zu Lebzeiten etwa 1,60 Meter groß, hatte Schuhgröße 38 und wog rund 50 Kilogramm. Der Mann hatte braune Augen, braune Haare und Blutgruppe 0.
Dass es jemals zu einer Klärung des letzten Tathergangs unmittelbar vor dem Tod des Gletschermannes kommen wird, bezeichneten Forscher als unwahrscheinlich. Klar ist, dass "Ötzi" an der linken Schulter von einem Pfeil getroffen wurde. Zudem hat sich der Mann vermutlich erst kurz vor seinem Tod ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen - ob durch einen Schlag oder einen Sturz, blieb vorerst ungelöst. Unmittelbar vor "Ötzis" Tod fand offenbar ein Nahkampf statt, worauf tiefe Schnittwunden an seiner rechten Hand hindeuten.
In Südtirol zeigte man sich indes anlässlich des Jubiläums "stolz" darauf, "Ötzi" zu beheimaten. "Ötzi ist ein einmaliges Erbe, für Südtirol, für Europa, für die Welt", betonte Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) am Mittwoch in einer Aussendung. Man sei sich aber auch der Verantwortung bewusst, die damit verbunden sei. Neben dem Archäologiemuseum habe sich auch das Institut für Mumienforschung an der Europäischen Akademie von "Ötzi" ausgehend zu einer Kompetenzstelle für Mumienforschung mit weltweiten Projekten entwickelt, meinte der Landeshauptmann: "Ötzi hat nicht nur den Stellenwert der Archäologie in Südtirol exponentiell erhöht, er hat die Forschung angekurbelt und eine weltweite Vernetzung der Forschenden bewirkt."