Sie waren mitten im Chaos am Kabuler Flughafen, brachten von dort jene Menschen in Sicherheit, die es bis zu einem der Flughafentore geschafft hatten. Zwei Soldaten des Bundesheer-Jagdkommandos und ein österreichischer Diplomat evakuierten in den letzten Augusttagen zahlreiche Menschen mit aufrechtem österreichischem Aufenthaltstitel aus Afghanistan. Am Mittwoch sind die beiden Soldaten von ihrem gefährlichen Auslandseinsatz zurückgekehrt. Einer von ihnen schilderte gegenüber Journalisten seine Eindrücke.
"Das erste, was wir bei unserer Ankunft sahen, waren Menschentrauben rund um die Transportmaschinen am militärischen Teil des Flughafens, dazu überall viel Müll und abgestellte Fahrzeuge", erzählt der erfahrene Soldat, dessen Identität aus Sicherheitsgründen geheim bleibt. Bei der Ankunft am 18. August habe "extremes Chaos" am völlig überfüllten Kabuler Flughafen geherrscht. Bewaffnet und mit voller Schutzausrüstung machte sich das kleine rotweißrote Team zunächst am Nordtor auf die Suche nach Afghanen mit Österreich-Bezug. "Dort mussten die Menschen insgesamt vier Linien passieren: Zuerst die Taliban, dann die Amerikaner, die internationalen Spezialeinsatzkräfte und zuletzt die Krisenunterstützungsteams, die sie zu den Maschinen verbrachten."
Mit nur zwei Soldaten vor Ort war man freilich auf die Unterstützung anderer Nationen angewiesen, vorrangig auf die Deutsche Bundeswehr. "Wir trafen dort auf viele bekannte Gesichter", berichtet der Elitesoldat. Mitglieder der Spezialkommandos kennen sich untereinander von gemeinsamen Übungen und Operationen, das habe sich in Kabul besonders bezahlt gemacht. Immer wieder sei es aufgrund der drängenden Massen zu kritischen Situationen gekommen: Schüsse fielen, Menschen wurden niedergetrampelt. Sieben Tote habe so eine Massenpanik am Nordtor gefordert.
Später verlagerte sich der Einsatzschwerpunkt des Evakuierungsteams auf das so genannte "Abbey Gate" im Südteil des Kabuler Flughafens. "Dort gibt es einen zwei Meter tiefen künstlich angelegten Kanal, auf beiden Seiten standen die Evakuierungswilligen dicht gedrängt", beschreibt der Soldat die Örtlichkeit. Das Gate selbst erwies sich als schmales Nadelöhr, durch das die Menschen oft "wie ein Schwall" hereinbrachen. Dann wurden zur Sicherheit die Metalltore wieder geschlossen. Immer wieder zogen die Österreicher Menschen mit den Händen aus dem Graben, der mit Fäkalien und Müll verunreinigt war. Als sie ein Ehepaar über den Wall an der Flughafengrenze zogen, drohte die Situation durch nachströmende Menschen zu entgleiten. Auf welche Menschen die Soldaten am Flughafen trafen? "Wir waren positiv überrascht, dass es viele Familien mit Kindern waren, auch Eheleute. Bei den Evakuierungsflügen sahen wir auch viele ältere Menschen."
Rot-weiß-rote Weste
Mitarbeiter des Außenministeriums standen via Mail, aber auch über Satellitentelefonie mit den meisten Ausreisewilligen in Kontakt und gaben ihnen die notwendigen Anweisungen. Vor Ort machte der Leiter des Krisenteams mit seiner rot-weiß-roten Weste auf seine Nationalität aufmerksam - manchmal mehr, als es seinen "Beschützern" lieb war. "Ich wurde schon etwas nervös, als der Diplomat zu den Stellungen der US-Marines gegangen ist", bekennt der Elitesoldat. "Aber wenn wir sagten, dass es zu gefährlich wird, zog er sich sofort zurück." Das Dreierteam wurde von den Evakuierungswilligen mit Österreich-Bezug meist auf Deutsch angesprochen, dann wurden ihre Dokumente kontrolliert. Der Soldat versichert: "Wir haben immer die Berechtigungskarten überprüft, bevor wir die Leute zu den Flugzeugen brachten". Er könne aber nicht sicher sagen, wie genau das die Partner-Nationen gemacht hätten. In der usbekischen Hauptstadt Taschkent unterstützten jedenfalls auch Dokumentenprüfer des Innenministeriums das erweitere Krisenteam.
Die Menschen, die aus Kabul ausgeflogen werden wollten, zeigten sich ebenso kreativ: "Sie haben ihre Dokumente groß kopiert, so dass man sie von weitem erkennen konnte oder haben T-Shirts mit ihrer Nationalität getragen", erzählt der Jagdkommando-Soldat.
Mit Transportflugzeugen der Deutschen Luftwaffe pendelte das Krisenunterstützungsteam täglich zwischen Kabul und Taschkent, einen dauerhaften Verbleib am Flughafen ließ die Lage nicht zu. Rund um den 25. August zog man sich dann komplett aus Afghanistan zurück. "Es wurden erste Sprengattrappen gefunden, Leute wegen Terrorverdacht festgenommen. Wir sind rechtzeitig raus, weil die Warnungen nach oben gegangen sind", so der Soldat. Die Luftbrücke nach Kabul wurde abgebrochen, man versuchte in der Folge die Menschen über den Landweg zu evakuieren. Tatsächlich kam es wenig später zu einem folgenschweren Selbstmord-Attentat vor dem Flughafen, bei dem unter anderem 13 US-Soldaten starben.
Medienberichte, wonach das Jagdkommando auch in Kabul-Stadt operiert hätte um Menschen zum Flughafen zu begleiten, weist der Elitesoldat zurück. "Das wäre mit zwei Mann unmöglich, das haben nur die Amerikaner gemacht." Vorrangiges Ziel sei es gewesen, "Leib und Leben des Leiters des Krisenteams zu schützen". Der Auftrag des Teams lautete, Menschen mit regulärem Aufenthaltstitel nach Österreich zurückzuholen. Ob das auch mit der eigenen C-130 "Hercules" des Bundesheeres möglich gewesen wäre? Das sei eine Entscheidung der politischen Führung, meint der Soldat. Nachsatz: "Sinn macht sowas, natürlich abhängig von der Risikoanalyse."