Auch 75 Jahre nach dem Ende der antisemitischen Nazi-Diktatur ist der Hass auf Juden in Deutschland nicht verschwunden. Am 9. Oktober 2019 bewaffnet sich der rechtsextreme Stephan B. und fährt zur Synagoge in Halle an der Saale im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Es ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, und als B. zu mittag sein Ziel erreicht, befinden sich 52 Gläubige im Gotteshaus.

Doch der Angeklagte scheitert bei dem Versuch, sich Zutritt zu verschaffen. Schüsse auf das Tor bleiben wirkungslos, wie auch selbst gebastelter Sprengstoff. Die Menschen in der Synagoge kommen mit dem Schrecken davon. Stattdessen tötet der heute 28 Jahre alte Rechtsextreme die 40-jährige Passantin Jana L. und den 20-jährigen Kevin S., der Mittagspause bei einem Döner-Laden macht. Noch heute zeugen Einschusslöcher von der Tat.

Lebenslange Haftstrafe droht

Und heute beginnt der Prozess gegen B. im Magdeburger Landgericht, damit coronabedingte Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden können. Insgesamt sind 18 Verhandlungstermine bis Mitte Oktober angesetzt. Die Anklageschrift besteht aus mehreren Punkten. Im Vordergrund steht der Vorwurf des zweifachen Mordes. Außerdem wird ihm versuchter Mord in 68 Fällen vorgeworfen, fahrlässige und gefährliche Körperverletzung, versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge, schwere räuberische Erpressung sowie Volksverhetzung. Dem Angeklagten droht damit eine lebenslange Haftstrafe.

Das Motiv von B. ist bekannt. Seine Taten sprechen eine deutliche Sprache, das von ihm verfasste elf Seiten lange Manifest liest sich wie eine Aufzählung rechtsradikaler Codes und Weltbilder. Nach seiner Festnahme noch am Tag der Tat legte er ein umfangreiches Geständnis ab. Sein Verteidiger Hans-Dieter Weber sagt, B. mache andere für seine eigene Misere verantwortlich. Er sei intelligent, wortgewandt, aber sozial isoliert.

Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt sieht in der Tat auch einen "erschreckenden Beleg" für einen seit längerem gestiegenen Antisemitismus in Deutschland, "der sich sodann als Motivation für rechtsextremistische Straf- und auch Gewalttaten widerspiegelt." Die Liste rechtsextrem motivierter Terroranschläge und Gewalttaten in der jüngeren Vergangenheit ist lang. Erst im Februar erschoss ein Rechtsradikaler im hessischen Hanau acht Menschen.

In Halle steht seit dem 10. Oktober 2019 ein Streifenwagen vor der Synagoge. Max Privorozki, Vorsteher der jüdischen Gemeinde Halle, ist sich nicht ganz sicher, ob das ein Zeichen von Stärke oder ein Symbol der Schwäche ist.