Die schlimmsten Feuer seit Jahren im verseuchten Gebiet um die Atomruine des explodierten Reaktors von Tschernobyl nehmen kein Ende. Riesige Flächen sind bereits verkohlt. Wälder und Felder schwarz. Extreme Trockenheit und Wind fachen die Brände immer wieder an. Auch gesundheitsschädliche radioaktive Teilchen im Boden werden aufgewirbelt.
Schon seit drei Wochen kämpft der ukrainische Katastrophenschutz gegen die Flammen. Aber vor dem Jahrestag der schwersten Atomkatastrophe in der zivilen Nutzung der Kernkraft am Sonntag (26. April) bleibt der große Löscherfolg aus. Armee und Nationalgarde helfen Feuerwehrleuten mit schwerem Gerät. Auch am Freitag waren noch mehr als 1.000 Kräfte im Einsatz. Die Böden dort sind verseucht mit radioaktiven Stoffen - Cäsium 137, Plutonium 239 und Strontium 90, wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace zum 34. Jahrestag des Unglücks erinnert.
"Die verheerenden Feuer zeigen, wie lange die Menschheit mit den gefährlichen Folgen von Atomunfällen zu kämpfen hat", sagt der Greenpeace-Atomphysiker Heinz Smital. Die Brände seien beunruhigend. Menschen könnten die strahlenden und giftigen Partikel einatmen.
Vor allem bei vielen Menschen in der Ukraine flammen angesichts der Brände auch die alten Ängste auf - nicht zuletzt davor, dass die Behörden der Ex-Sowjetrepublik das wahre Ausmaß der Gefahr verschleiern. Die Hauptstadt Kiew mit ihren mehr als drei Millionen Einwohnern liegt nur 70 Kilometer von der Sperrzone entfernt. Tagelang hielten sich Rauch und Brandgeruch in der Stadt. Den offiziellen Informationen traut kaum jemand.
Es sei unklar, ob die Feuerwehrleute ausreichend Schutzausrüstung hätten und regelmäßig ausgewechselt würden, um die zulässige Strahlendosis nicht zu überschreiten, meinte die 62-jährige Olga Mussafirowa. Die Journalistin stellt beim TV-Sender Ukrajina 24 fest, dass Welten liegen zwischen Augenzeugenberichten in sozialen Netzwerken und den Angaben der Behörden. Sie erinnert an die "Liquidatoren", die damals ohne richtigen Schutz zur Beseitigung der Katastrophe nach Tschernobyl geschickt wurden.
Supergau am 26. April 1986
Nach einem missglückten Leistungstest im Kraftwerk explodierte am 26. April 1986 Block vier der sowjetischen Anlage. Tausende Menschen starben oder wurden verletzt. Zehntausende wurden zwangsumgesiedelt. Bei Einsatzkräften kam es zu Krebs, Schlaganfällen, Infarkten, Erblindung und anderen strahlungsbedingten Krankheiten.
Berichte aus der Brandzone sind rar in ukrainischen Medien. Viele Menschen äußern sich aber besorgt. "Verzeih mir bitte, ich wollte dich nicht belügen. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst", sagte der Feuerwehrmann Oleg beim TV-Sender 1+1 seiner Mutter.
Die öffentliche Diskussion in der Ukraine dreht sich aber vor allem um die Ursachen. Brandstiftung gilt als Grund - wie bei ähnlichen Feuern dort in der Vergangenheit. Im Raum steht auch der Verdacht, Kriminelle könnten die Brände gelegt haben, um illegale Abholzungen in der waldreichen Sperrzone zu vertuschen.
Gründe sieht der Professor für Forstwirtschaft, Sergej Sibzew, auch im trockenen Winter und im starken Wind. Die ukrainische Feuerwehr sei nicht auf Brände dieses Maßstabs vorbereitet. "Wir hatten natürlich kleinere Brände von fünf, zehn, maximal einhundert Hektar. Doch Tausende Hektar waren sehr selten", sagte er der Zeitung "Den". Zuletzt habe es dort auch keine Feuerwehrübungen mehr gegeben.
"Das staatliche Brandschutzsystem wurde in den vergangenen Jahren völlig zerstört", sagte auch Sergej Botschkowski, der Ex-Chef des Katastrophenschutzes, in einem Zeitungsinterview. Es fehle an allem - Waldschneisen, Brandschutzstreifen, Löschteichen. Ein Übergreifen von Feuern auf den mit einem Sarkophag geschützten AKW-Reaktor schließt er jedoch aus. "Dort gibt es einen großen Brandschutzstreifen, das Feuer gelangt nicht dorthin."
Hunderte Depots mit atomar belastetem Material
Auf dem riesigen Gelände gibt es nach Darstellung des Kernphysikers Smital von Greenpeace Hunderte Depots mit atomar belastetem Material - oft sicher in Beton eingeschlossen. Aber es gebe aber auch kleinere Lagerstätten, die schlecht dokumentiert seien. Experten müssten sich nach den Bränden einen Überblick über das Ausmaß der Schäden verschaffen, fordert er.
Beim staatlichen Atomkonzern Energoatom fordert die in Tschernobyl geborene Sprecherin Natalia Degtjarenko ein Umdenken mit Blick auf die Zone. Ziel sei immer gewesen, die Gefahren klein zu halten. "Stattdessen wählte die Zonenverwaltung in den vergangenen fünf Jahren als Hauptfunktion die Entwicklung des Tourismus", kritisiert sie. 34 Jahre nach der Katastrophe steht wieder einmal fest, "dass die Tschernobyl-Sperrzone kein Platz für Selfies ist".