Die deutsche Kapitänin des Rettungsschiffes "Sea-Watch 3", Carola Rackete, hat die Nacht auf Dienstag unter Hausarrest in einer Privatwohnung im sizilianischen Agrigent verbracht. Am Vormittag soll ein Gericht in der sizilianischen Stadt Agrigent über einen möglichen Haftbefehl entscheiden. Der italienische Innenminister Matteo Salvini will die Kapitänin aus Italien ausweisen.
Der ermittelnde Staatsanwalt Luigi Patronaggio erklärte am Abend, er wolle prüfen, ob es Kontakte zwischen der Crew des Rettungsschiffes und libyschen Schleppern gab. Eine Durchsuchung des Schiffes sei durchgeführt worden, um Beweismaterial zu sammeln, sagte der Staatsanwalt in Agrigent.
Salvini erklärte, er erwarte sich vorbildhafte Strafen für die Kapitänin, die bei der Einfahrt in den Hafen von Lampedusa das Leben der Polizisten an Bord des Patrouillenbootes gefährdet und die italienischen Gesetze verletzt habe. "Von anderen EU-Ländern - in erster Linie Deutschland und Frankreich - erwarte ich mir Respekt und Schweigen", erklärte Salvini auf Facebook. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Außenminister Heiko Maas hatten zuvor das Vorgehen der italienischen Behörden kritisiert. Italien sei bereit, Rackete auszuliefern, betonte der italienische Innenminister.
Rackete war am Samstag mit dem Schiff "Sea-Watch 3" mit 40 Migranten unerlaubt nach Lampedusa gefahren. Bei der Einfahrt in den Hafen konnte nur knapp ein Zusammenstoß des Rettungsschiffs mit einem Patrouillenboot vermieden werden. Die Kapitänin wurde festgenommen und auf der sizilianischen Insel unter Hausarrest gestellt. Ein neues italienisches Sicherheitsdekret stellt das unerlaubte Einfahren nach Italien unter Geldstrafe. Die "Sea-Watch 3" wurde beschlagnahmt.
Kapitänin verteidigte Entscheidung vor Richter
Die Kapitänin der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch, Carola Rackete, hat indes nach Angaben ihres Anwalts in ihrer Vernehmung verteidigt, unerlaubt in einen italienischen Hafen eingefahren zu sein. Die 31-Jährige habe am Montag vor dem Ermittlungsrichter dargestellt, dass die Situation mit den Migranten an Bord "sehr angespannt" gewesen sei, sagte der Rechtsanwalt Leonardo Marino am Dienstag.
Rackete habe darüber hinaus angegeben, das Boot der Finanzpolizei, das das Rettungsschiff "Sea-Watch 3" beim Einlaufen in den Hafen touchiert hatte, nicht gesehen zu haben. Am Dienstag muss ein Haftrichter im italienischen Agrigent entscheiden, ob er einen bestehenden Hausarrest für Rackete aufhebt. Die Entscheidung darüber müsse spätestens am Abend getroffen werden, könnte aber auch schon früher fallen, sagte Marino.
Möglich sei, dass die freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen Rackete komplett aufgehoben werden. Alternativ könnte gegen Rackete ein Aufenthaltsverbot für die Provinz Agrigent verhängt werden, zu der auch die Insel Lampedusa gehört. Letzteres hatte die Staatsanwaltschaft gefordert.
Gegen Rackete werden in Italien schwere Vorwürfe erhoben. Ihr drohen zwei Prozesse, die in langen Haftstrafen enden könnten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr unter anderem vor, Widerstand gegen ein Kriegsschiff geleistet zu haben, was mit bis zu 13 Jahren Haft bestraft werden kann. Die Finanzpolizei ist in Italien militärisch organisiert und zählt dort zu den Streitkräften. Zudem wird wegen Begünstigung illegaler Migration ermittelt.
NGO befürchtet Abschreckungseffekt
Die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch befürchtet, dass die Festnahme ihrer Kapitänin Carola Rackete den Tod vieler Migranten im Mittelmeer nach sich ziehen wird. Dass sie abgeführt und ihr Schiff "Sea-Watch 3" beschlagnahmt wurde, könne dazu führen, dass sich Kapitäne von Handelsschiffen "in Zukunft zwei Mal überlegen werden", ob sie Menschen aus Seenot retten, sagte der Sprecher der Organisation, Ruben Neugebauer, am Dienstag in Berlin.
Schon jetzt sei es so, dass einige Besatzungen bewusst wegschauten. Auch italienische und maltesische Militärschiffe hätten teilweise erst reagiert, als ihnen Sea-Watch mitgeteilt habe, dass sie auf Video aufgezeichnet würden, so Neugebauer.
Der deutschen Regierung warf der Sprecher schwere Versäumnisse vor. "Wir sind sehr enttäuscht von der Bundesregierung." Der italienische Innenminister Matteo Salvini habe die Häfen in seinem Land schon etwa vor einem Jahr geschlossen. "Seither hätte die Bundesregierung Zeit gehabt, eine Lösung für die Situation zu finden. Das hat sie nicht getan." Eine europäische Lösung "wäre zwar schön", sagte Neugebauer auf entsprechende Forderungen der Bundesregierung. Aber solange die Menschenrechte nicht eingehalten würden, "muss man proaktiv vorangehen". Er verwies auf die Bereitschaft der baden-württembergischen Stadt Rottenburg, die Flüchtlinge von der "Sea-Watch 3" aufzunehmen. "Das ist der Weg, wie es gehen kann", betonte Neugebauer. "Da kann man von der Bundesregierung schon erwarten, dass sie mutig vorangeht".
Spenden und Solidaritätsbekundungen
Nach Solidaritätsbekundungen von Prominenten war in den vergangenen Tagen mehr als 1,3 Million Euro Spenden bei den Seenotrettern eingegangen. "Es ist so viel wie noch nie", sagte Neugebauer. Rackete gehe es "den Umständen entsprechend gut". Sie sei eine "sehr mutige Kapitänin" und habe wegen der schwierigen Situation an Bord keine andere Wahl gehabt, als trotz des Verbots in den Hafen einzulaufen.
Der sogenannte Kampf der Europäischen Union gegen Schlepper auf dem Mittelmeer sei in Wirklichkeit ein "Konjunkturpaket für Schlepper", sagte Neugebauer. Er sei überzeugt: "Man kann Migration nicht aufhalten." Durch die Politik der geschlossenen Häfen werde die Überfahrt für Menschen, die nach Europa wollten, nur teurer und gefährlicher. Im ersten Halbjahr 2019 sind nach UN-Angaben über 27.300 Flüchtlinge und Migranten über das Mittelmeer nach Italien, Zypern, Malta, Spanien und Griechenland gekommen. Seit Jahresbeginn seien schätzungsweise 584 Menschen bei dem Versuch ertrunken.