Vergangenen Sonntag, dem Fest Epiphanie, übergab der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. in der Georgskathedrale in Istanbul die offizielle Urkunde zur Autokephalie-Erhebung der neuen orthodoxen Kirche der Ukraine an Metropolit Epiphanius. Damit sind zwar auf der einen Seite die bereits jahrzehntelang andauernden Bemühungen orthodoxer Ukrainer nach einer eigenständigen Kirche von Erfolg gekrönt, aber leider ist durch diesen Akt ein tiefer Riss zwischen dem Ökumenischen Patriarchat und dem Patriarchat von Moskau entstanden.

Patriarch Kirill I. beschwor im Vorfeld den Patriarchen von Konstantinopel, der allgemein als Ehrenoberhaupt der Gesamtorthodoxie angesehen wird, von seinem Vorhaben abzusehen, und warnte „vor unabsehbaren Folgen“. Mit diesem Schritt dürfte die Gesamtorthodoxie in eine Zerreißprobe schlittern, die jetzt noch kaum abzuschätzen ist. Auch die fruchtbare ökumenische Arbeit der Gesamtorthodoxie mit der katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation wird durch dieses Ereignis jäh gestoppt und vermutlich für Jahre (Jahrzehnte?) auf Eis gelegt werden.

Zwischen Konstantinopel und Moskau

Was ist geschehen? Um den Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau besser verstehen zu können, müssen wir uns zunächst die kirchliche Struktur der orthodoxen Kirche (Einzahl!) vor Augen halten. Anders als in der katholischen Kirche kennt die orthodoxe Kirche keinen Jurisdiktionsprimat eines Amtsträgers über alle anderen. Im Bischof von Rom (Papst) hat die katholische Kirche ihr geistliches und jurisdiktionelles Oberhaupt. In der Orthodoxie gab es bisher 14 selbstständige und eigenverantwortliche Kirchen, an deren Spitze jeweils ein Patriarch oder Metropolit bzw. Erzbischof steht. Die Versammlung (= Synaxe) der Oberhäupter der orthodoxen Kirchen (Mehrzahl!) stellt ein wichtiges verbindendes Element dar.


Die Rolle der Patriarchen von Konstantinopel, die den Titel „ökumenischer Patriarch“ tragen, ist die eines „Primus inter pares“ („Ersten unter Gleichen“) im Sinne des Vorsitzes bei gemeinsamen Synoden und die eines Koordinators, aber ohne jurisdiktionelle Gewalt über die anderen orthodoxen Oberhäupter. Wodurch eine Landeskirche zur selbstständigen (autokephalen) orthodoxen Kirche wird oder wer ihr diesen Rang verleihen könne, ist in den heiligen Kanones nicht eindeutig festgelegt. Deshalb waren solche Prozesse auch in den vergangenen Jahrhunderten oft mit Konflikten und lang andauernden Schismen verbunden. Besonders dann, wenn ein großes politisches Reich zerfiel (z. B. das Osmanische Reich oder die Sowjetunion) und die Nachfolgestaaten nach kirchlicher Unabhängigkeit vom ursprünglichen Machtzentrum strebten, kam und kommt es zu Konflikten.


Damit wird deutlich, dass die aktuelle Krise wesentlich auch mit der Politik verwoben ist. Denn seit der Annektierung der Krim und der aktiven Unterstützung der Separatisten in den Ostprovinzen der Ukraine durch Russland ist die Stimmung der Ukrainer offen gegen den großen Nachbarn im Osten. Die ukrainische Politik, die eindeutig einen prowestlichen Kurs verfolgt, unterstützte in der jüngsten Vergangenheit bis in die Gegenwart aktiv den Prozess der kirchlichen Loslösung vom Moskauer Patriarchat. Die Beschwörungen des russischen Patriarchen, dass es doch eine durch Jahrhunderte gewachsene kulturelle und traditionelle Einheit zwischen den Großrussen, den Kleinrussen (= Ukrainer) und den Weißrussen gebe, die man nicht einfach auseinanderreißen könne, stößt in der ukrainischen Bevölkerung auf wenig Gegenliebe.

Wunsch nach Unabhängigkeit

Der Wunsch nach einer eigenständigen ukrainischen orthodoxen Kirche war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts vernehmbar. Bedingt durch das kommunistische Regime konnte er während dieser Zeit nicht verwirklicht werden. Doch hatte sich bereits 1921 einseitig eine autokephale ukrainische Kirche gebildet, die von keiner anderen orthodoxen Kirche anerkannt wurde, aber trotzdem in der Diaspora überleben konnte.
Nach der Wende, im Jahre 1992, sagte sich der damalige, von Moskau eingesetzte Metropolit Filaret vom Moskauer Patriarchat los und rief mit seinen Anhängern eine unabhängige ukrainische orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats aus, die aber ebenfalls von den anderen orthodoxen Landeskirchen als nicht kanonisch angesehen wurde.


So gab es seit 1992 auf dem Gebiet der Ukraine drei verschiedene orthodoxe Kirchen, von denen die des Moskauer Patriarchats mit Abstand die meisten Mitglieder hatte und als einzige von der Gesamtorthodoxie anerkannt wurde. Über 25 Jahren dauerte dieser unbefriedigende Zustand an. Mehrmals bat die ukrainische Politik den Ökumenischen Patriarchen, dem ein Ende zu bereiten und alle orthodoxen Christen zu einer selbstständigen orthodoxen Kirche der Ukraine zu einen.
Ob dies jetzt mit diesem Dekret erreicht wurde, ist wohl mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Denn die Spaltung unter den orthodoxen Christen in der Ukraine und darüber hinaus weltweit wird nicht nur andauern, sie wird sich sicherlich noch verschärfen.

Zum Autor: Rudolf Prokschi, von 2004 bis 2018 Professor für Patrologie und Ostkirchenkunde an der Kath.-Theologischen Fakultät der Uni Wien; Domdekan, Vizepräsident von Pro Oriente, Subregens im Priesterseminar.