Die Tragödie trägt sein Gesicht. Giuseppe Giordano hat eine tränenerstickte Stimme, seine Augen sind angeschwollen, sein Leid ist mit Händen zu greifen. Ob er weiß, dass ihn Fernsehkameras filmen, ist nicht klar. Giordano ist außer sich, ein gebrochener Mann und Familienvater. Kaum vorstellbar, was ihm am vergangenen Wochenende widerfahren ist. Es sollte eine fröhliche Familienfeier werden, doch Giordano hat alles verloren.

Familie ausgelöscht

Seine beiden Kinder, ein einjähriges Mädchen und ein 15-jähriger Junge sind ertrunken. Auch seine Frau, der Vater, die Schwester und eine Nichte starben am Samstagabend in Casteldaccia bei Palermo. Di Familie Giordano wollte eine Geburtstagsfeier im Landhaus am Fluss begehen, das der Familienvater für solche Gelegenheiten hatte. Es regnete, das schon. Aber wer konnte denn mit so einer Katastrophe rechnen?
Die Regenfälle der vergangenen Tage ließen das Flüsschen Milicia blitzartig anschwellen, in dessen unmittelbarer Nähe das Haus sich befand. Es müssen apokalyptische Szenen gewesen sein, die sich dann abspielten. Familienangehörige, die auf Bäume flüchteten, schreiende Kinder und Babys.

Das Flüsschen Milicia, das zum reißenden Strom wurde
Das Flüsschen Milicia, das zum reißenden Strom wurde © (c) AP (Ruggero Farkas)



Die Schlamm- und Wassermassen fluteten das Haus und verwandelten die Feier in eine Tragödie, neun Familienangehörige starben. Giordano schilderte am Tag darauf noch ganz außer sich das Drama. Zweieinhalb Stunden habe er vergeblich um Hilfe gerufen. "Wenn sie von der Gefahr wussten, warum haben sie uns nichts gesagt?", so lautet seine verzweifelte Anklage. Wenn man sich nicht irrt, klingt sie ein wenig so, als richte sie sich auch gegen ihn selbst.



Heftige Stürme und extreme Regenfälle suchen die Halbinsel heim. Zwölf Menschen kamen insgesamt am Wochenende ums Leben, 30 Tote sind es seit Anfang vergangener Woche. Die Unwetter haben kaum eine der 20 italienischen Regionen ausgespart. In Ligurien peitschte das Meer brutal gegen die Küste, in Rapallo bei Genua wurde ein Yachthafen zerstört. Im Veneto verwüsteten Stürme ganze Wälder, auch in der Hauptstadt Rom beseitigen sie immer noch die entwurzelten Bäume von letzter Woche.

Die stärksten Regenfälle gab es zuletzt auf Sizilien. Die Behörden hatten die höchste Alarmstufe ausgerufen, und doch kamen für viele die Niederschläge mit unvorhergesehener Wucht. Ein italienisches Ehepaar, das in Frankfurt am Main lebt, wurde bei Agrigent von einer Schlammlawine im Auto erfasst und starb. Auf Sardinien wurde eine 64-jährige Deutsche vom Blitz erschlagen.

Das zerstörte Anwesen, in dem neun Menschen starben
Das zerstörte Anwesen, in dem neun Menschen starben © (c) AP (Mike Palazzotto)



Es heißt, das Wetter auf der Halbinsel mit seinen kurzen, monsunartigen Regenfällen spiele verrückt. Und doch zieht sich menschliche Verantwortung wie ein roter Faden durch das Land. In Casteldaccia bei Palermo ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt. Die Ermittler versuchen herauszufinden, warum das Haus vermietet wurde, das so nah am Flussufer stand und gemäß Gemeinderats-Beschluss schon seit 2008 hätte abgerissen werden müssen. Die Eigentümer legten beim Verwaltungsgericht Klage ein, drei Jahre später war der Fall entschieden, doch es passierte nichts. Die Verantwortung hat viele Namen. Die Regenfälle und der über die Ufer tretende Fluss wirken nur wie das letzte Element in einer vorhersehbaren Ereigniskette.

Italien ist nach Überzeugung seiner Einwohner das schönste Land, wenn nicht auf Erden, dann wenigstens in Europa. Millionen Touristen, die hier jährlich Ferien machen, geben ihnen indirekt recht. Man fragt sich auch, warum sich ausgerechnet in dieser Schönheit das Leid scheinbar aneinanderreiht. Die Antwort könnte lauten: Weil viele Menschen die Besonderheit ihrer Heimat als selbstverständliches, auszunutzendes Kapital, aber nicht als zu pflegenden Schatz betrachten.

Wie viele Tote noch?

"Wie viele Tote und wie viele Tragödien müssen noch geschehen, bis verstanden wird, dass endlich das Territorium gesichert werden muss", sagt Stefano Ciafani, Präsident des Umweltverbands Legambiente. Über die vielfältigen Ursachen für viele Katastrophen gibt es kaum noch Zweifel. Oft werden illegal errichtete Häuser den Bewohnern zum Verhängnis. Einer Untersuchung zufolge stehen 80 Prozent der illegal in Italien errichteten Gebäude immer noch, ohne dass die Eigentümer den Abriss fürchten müssten. Es gab mehrere Amnestie-Gesetze für Eigentümer illegaler Bauobjekte.

Es ist allgemein bekannt, dass die zunehmende Bebauung der Landschaft den natürlichen Abfluss starker Regenfälle behindert. Dass sich das Klima durch den CO2-Ausstoß bereits gewandelt hat und bei den örtlichen Katastrophen eine wesentliche Rolle mitspielt, steht ebenso außer Zweifel.