Ein bewaffneter Mann ist am Donnerstag in die Redaktion der kleinen Lokalzeitung "Capital Gazette" in der US-Stadt Annapolis eingedrungen und hat fünf Menschen erschossen. Zwei weitere wurden verletzt, vermutlich durch umherfliegende Glassplitter. Reporter des Blattes berichteten, wie sie sich unter ihren Schreibtischen verschanzten. Vermutlich war es Rache.

"Ich habe nur gehofft, dass mein Telefon nicht klingelt", sagte der Journalist Phil Davis dem US-Sender CNN. Der Schütze wurde festgenommen. Die Ermittler halten ihn für einen Einzeltäter.

Eine andere Reporterin musste den Tod eines Kollegen aus nächster Nähe mit ansehen: "Ich sah nicht den Täter, aber ich sah, wie er getroffen wurde. Er ging zu Boden", sagte sie.

Nach Berichten mehrerer US-Medien handelt es sich bei dem Täter um einen 38 Jahre alten Mann aus der Region. Der Mann, der nach den tödlichen Schüssen auf fünf Mitarbeiter der US-Lokalzeitung "Capital Gazette" in Annapolis am Donnerstag festgenommen worden ist, dürfte sich von Justiz und Medien unverstanden gefühlt haben. Die Zeitung hatte laut US-Medien 2012 über den 38-Jährigen berichtet, der eine Ex-Schulkollegin - die sich zunächst gar nicht an ihn erinnerte - über Soziale Medien gestalkt und diffamiert hatte.

Vorangegangen war eine Klage der Frau gegen den 38-Jährigen, der sich schließlich vor Gericht wegen Belästigung schuldig bekannt hatte und zu 90 Tagen bedingter Haft verurteilt wurde. Die "Capital Gazette" berichtete über den Fall in einer Meldung mit dem Titel "Jarrod will dein Freund sein". Der Mann, nach Angaben seines Anwalt ein IT-Techniker, hatte der Frau zunächst von persönlichen Problemen berichtet, sie bot Hilfe an. Die Inhalte seiner Nachrichten wurden schließlich widerwärtig - der Mann drohte sogar, sie zu töten. Der Beschuldigte klagte die Zeitung wegen Verleumdung - seiner Überzeugung nach war seine Sicht der Dinge nicht ausreichend berücksichtigt worden - und verlor. 2015 wurde die Entscheidung des Gerichts in zweiter Instanz bestätigt.

Vor den Schüssen in der Redaktion der "Capital Gazette" hat der 38-Jährige seine Fingerspitzen verstümmelt, offenbar in der Absicht, seine Identifizierung über Fingerabdrücke zu verhindern. Als die Polizei ihn im Newsroom fasste, hatte er sein Gewehr weggelegt und sich unter einem Tisch versteckt.

Genaueres muss die Polizei nun mühsam ermitteln. Der Tatverdächtige wurde unmittelbar nach dem Geschehen stundenlang verhört. Er sei nur bedingt kooperativ, hieß es von der Polizei. Seine Wohnung sei durchsucht werden. "Die Ermittlungen sind das, was nun am längsten dauern wird", sagte Krampf.

Polizei war in 60 Sekunden am Tatort

Die Polizei sei extrem schnell am Ort des Geschehens gewesen, binnen 60 Sekunden, sagte Steve Schuh von der Bezirksregierung des Anne-Arundel-County. "Die Beamten haben enormen Mut bewiesen und sind sofort ins Gebäude gegangen." Dies habe Schlimmeres verhindert. Zufällig hatten die Einsatzkräfte erst kürzlich für solche Situationen trainiert. "Wir hätten nicht besser vorbereitet sein können."

Die Polizeikräfte waren am Tag des Geschehens sichtlich getroffen. "Mit diesen Leuten arbeiten wir fast täglich zusammen, manche sind Freunde", sagte Krampf über das Redaktionsteam. Laut Polizeisprecher Frashure arbeiteten alle Opfer für die Zeitung. In dem Gebäude befinden sich auch andere Büros und Arztpraxen. Die Polizei brachte rund 170 Menschen unverletzt in Sicherheit.

Die Tat von Annapolis schlug unmittelbar Wellen in der Medienlandschaft der USA. In New York verschärfte die Polizei die Sicherheitsmaßnahmen für große Medieneinrichtungen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, hieß es. Auch die "Washington Post" in der US-Hauptstadt, nur eine Autostunde von Annapolis entfernt gelegen, führte striktere Sicherheitskontrollen ein.

Das Attentat von Annapolis kommt in einer Zeit, in der der Präsident der Vereinigten Staaten einen Kleinkrieg gegen Journalisten führt und seriöse Medien als "Feinde des Volkes" bezeichnet. Es gab jedoch zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tat mit der Anti-Medien-Kampagne Donald Trumps in Verbindung stehen könnte.

Die "Capital Gazette" ist ein kleines Lokalblatt mit einer Auflage von rund 40.000 Exemplaren. Die überregionalen Nachrichten kommen von der Muttergesellschaft, der "Baltimore Sun". Die Schwesterzeitung schrieb: "Als Journalisten haben wir über mehr Todesschüsse berichtet, als wir zu zählen bereit sind. Aber jetzt hat es unsere Familie getroffen und wir spüren den Schmerz akuter, als wir uns das vorstellen konnten."

Trump drückte umgehend via Twitter sein Mitgefühl für die Hinterbliebenen aus und verurteilte die Tat. Seine Sprecherin Sarah Sanders schrieb: "Ein gewalttätiger Angriff auf unschuldige Journalisten ist ein Angriff auf alle Amerikaner."

Kanadas Premierminister Justin Trudeau trauerte mit den Menschen im Nachbarland. "Journalisten erzählen die Geschichten aus unseren Gemeinden, sie schützen die Demokratien, und oft genug setzen sie ihr Leben aufs Spiel."

Die Überlebenden der Redaktion in Annapolis haben ihren Job einfach weitergemacht. Auch und gerade am Tag nach den schrecklichen Ereignissen sollte die "Capital Gazette" erscheinen.