Der mutmaßliche Messer-Attentäter von Hamburg ist den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen. Es habe Anzeichen für eine Radikalisierung gegeben, sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote am Samstag bei einer Pressekonferenz der Polizei. Der Mann sei als Islamist in die entsprechenden Dateien aufgenommen worden. Man sei aber nicht zu der Einschätzung einer unmittelbaren Gefährlichkeit gelangt.

Noch am Freitag habe sich der Mann bei der Ausländerbehörde erkundigt, ob seine Passersatzpapiere eingetroffen seien. "Es war damit zu rechnen, dass diese Papiere demnächst eintreffen würden", sagte Grote. Der 26-Jährige sei auch willens gewesen, auszureisen. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Meyer sagte, der Mann sei in dieser Hinsicht eine "fast vorbildhafte Person" gewesen. Der Mann habe gegen seinen negativen Asylbescheid keine Rechtsmittel eingelegt und auch bei der Organisation von Passersatzpapieren mitgewirkt.

Asylantrag abgelehnt

Der Hamburger Innenstaatsrat Bernd Krösser erklärte, der mutmaßliche Angreifer sei 2015 nach Deutschland eingereist. Er sei palästinensischer Abstammung und hatte bei seiner Einreise keine Papiere bei sich. Zuvor habe er Stationen in anderen europäischen Ländern gehabt: in Norwegen, Schweden und Spanien. Über Norwegen sei der Mann im März 2015 nach Deutschland gekommen, zunächst nach Dortmund. Von dort aus sei er im klassischen Asylverteilungsverfahren nach Hamburg weitergeleitet worden. Hier sei er im gleichen Monat eingetroffen und habe schließlich im Mai 2015 einen Asylantrag gestellt.

Im November oder Dezember 2016 habe das zuständige Bundesamt den Asylantrag des Mannes abgelehnt. "Seitdem läuft im Grunde genommen das Ausreiseverfahren, das wegen der notwendigen Passersatzpapierbeschaffung bisher nicht abgeschlossen werden konnte."

Islamistische Motive

Bei dem Mann gebe es einerseits Hinweise auf religiöse Beweggründe und islamistische Motive, andererseits auch auf eine "psychische Labilität". Die Polizei wisse noch nicht, was letztlich den Ausschlag für den Messerangriff gegeben habe. Der Täter hat bisher noch keine Aussage gemacht, weil er ihm Rahmen der Festnahme verletzt wurde und starke Kopfschmerzen hat. Er deutete jedoch an, dass er als Einzeltäter agiert hat.

Der Mann aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte am Freitag im Stadtteil Barmbek unvermittelt auf Menschen eingestochen. Ein 50-Jähriger starb. Laut Grote gab es sieben weitere Opfer, die zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden. Alle Verletzten sind inzwischen außer Lebensgefahr. Der 26-Jährige, der nach Behördenangaben in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren wurde, hatte Schutz in Deutschland gesucht und war eigentlich ausreisepflichtig. Das war jedoch nicht möglich, weil er keine Papiere bei sich hatte.

Plötzlicher Lebenswandel

Laut Zeugen soll er früher viel Alkohol getrunken haben. Damit hat er kürzlich aufgehört, liest den Koran und spricht viel darüber. Das war der Polizei bereits bekannt. Daraufhin suchte sie den Mann auf, sprach mit ihm (auf Englisch), bewertete ihn jedoch nicht als unmittelbar gefährlich sondern als labil und leicht gestört. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er bereits polizeibekannt war und lautstark Suren des Koran im Flüchtlingsheim zitierte.

Hinweise auf eine Vernetzung mit anderen gibt es nicht, es dürfte die Tat eines Einzelnen gewesen sein. Die Polizei hat eine Sonderkommission unter Beteiligung der Mordkommission und des Staatsschutz gebildet. Der Staatsschutz ist für politisch motivierte Delikte zuständig. "Weiterhin wird in alle Richtungen ermittelt. Dies schließt Ermittlungen des Staatsschutzes ausdrücklich ein", teilte die Polizei mit.

In der Nacht hat die Polizei eine Flüchtlingsunterkunft durchsucht. "Ob wir etwas gefunden haben, können wir zur Stunde nicht bekannt geben", sagte ein Sprecher der Polizei am Samstagmorgen. Der mutmaßliche Angreifer soll demnach in der Unterkunft im Stadtteil Langenhorn gelebt haben.

Augenzeugen-Video

Nach bisherigen Ermittlungen hatte der Mann am Freitagnachmittag mit einem Küchenmesser kurz vor 15 Uhr wahllos auf Kunden eingestochen und war dann geflohen. Ein nun aufgetauchtes Video zeigt, wie furchtlose Passanten den Angreifer stoppten. Sie gingen mit Stühlen und anderen Gegenständen auf ihn los. Ohne deren mutigen Einsatz hätte es womöglich noch weitere Opfer gegeben. Ein Autofahrer filmte das Geschehen.

Ein 50-Jähriger starb

Der Mann kaufte ein Toastbroat, verließ die Filiale wieder, stieg in einen Bus, verließ diesen aber kurz darauf wieder, ging zurück zum Supermarkt und betrat diese gegen 15.10 Uhr wieder. Um 15.11 ging der Notruf bei der Polizei ein. Er nahm ein Küchenmesser aus dem Regal mit einer circa 20 Zentimeter langen Klinge, packte es aus, stürmte auf das spätere Todesopfer und attackierte den Mann. Der 50-Jährige starb bei dem Angriff, daneben wurden eine 50-jährige Frau und vier Männer (64, 57, 56, 19) durch Messerstiche zum Teil schwer verletzt. Sie alle sind nach Polizeiangaben Deutsche. Ein 35 Jahre alter Türke wurde zudem bei der Überwältigung des Messerstechers verletzt. Dann ging er zum Eingangsbereich zurück und verletzte dort eine 19-jährige Person schwer. Dieses Opfer musste notoperiert werden.

Zwei weitere Personen im Bereich des Geschäfts, die gerade ihre Fahrräder abstellten, wurden von ihm ebenfalls verletzt. Eine Person gegenüber wurde auch von ihm attackiert, erst dann konnten Passanten ihn stoppen. Die Zivilfahnder, die in dem Moment eintrafen, konnten ihn dann festnehmen. Er hatte immer noch das Messer bei sich, das sichergestellt werden konnte. Es gebe auch Anhaltspunkte für persönliche Probleme des Mannes, wie Drogenkonsum. Darüber berichtete auch "Spiegel Online". Dem Nachrichtenportal zufolge lebte der 26-Jährige zuletzt in einem Flüchtlingsheim in der Hansestadt.

"Hatte keine Papiere"

Nach Angaben von Bürgermeister Olaf Scholz konnte der Tatverdächtige nicht abgeschoben werden, weil er keine Papiere hatte. Der SPD-Politiker erklärte, es mache ihn wütend, "dass es sich bei dem Täter offenbar um jemanden handelt, der Schutz bei uns in Deutschland beansprucht und dann seinen Hass gegen uns gerichtet hat". Innensenator Andy Grote (SPD) bezeichnete die Bluttat als einen "erbärmlichen Anschlag". "Ich hoffe inständig, dass die zum Teil schwer verletzten weiteren Opfer überleben und wieder vollständig gesund werden", erklärte er. "Wir stehen fassungslos und getroffen vor dieser grauenhaften Gewalttat."

Polizeisprecher Timo Zill zum Ablauf der Attacke:

Sami Chaodhly, ein Anrainer berichtet, wie er die Situation erlebt hat: