Ein katholischer Knabenchor als "Hölle" und "Konzentrationslager": Mit drastischen Worten beschrieben ehemalige Mitglieder der Regensburger Domspatzen ihre Zeit in dem Chor, wie der zur Aufarbeitung des Missbrauchskandals eingesetzte Anwalt Ulrich Weber am Dienstag bei der Vorlage seines Abschlussberichts sagte. Fast 550 Kinder wurden Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt.

Weber arbeitete in den vergangenen zwei Jahren als unabhängiger Gutachter den schon 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsskandal auf. Dass die unabhängige Aufarbeitung nicht schon früher erfolgte, lastete der Rechtsanwalt auch dem ehemaligen Regensburger Bischof und jetzigen Kardinal Gerhard Ludwig Müller an.

Fehlender Dialog mit den Opfern

Müller sei für die Schwächen der Aufarbeitung, etwa einen fehlenden Dialog mit den Opfern, verantwortlich, sagte Weber. Einen Zusammenhang mit der Entlassung Müllers als Chef der Glaubenskongregation sieht er aber nicht - Papst Franziskus habe von dem Abschlussbericht im Vorfeld zumindest keine Kenntnis haben können.

Dem langjährigen Chorleiter und Bruder von Papst Benedikt XVI., Georg Ratzinger, warf Weber ein "Wegschauen" vor der körperlichen Gewalt vor. Es hätten sich aber keine Erkenntnisse ergeben, dass Ratzinger auch von sexueller Gewalt gewusst habe.

Ratzinger sei von den für die Untersuchung befragten ehemaligen Domspatzen sehr unterschiedlich, positiv wie negativ, beschrieben worden. Der von 1964 bis 1994 an der Spitze des Chors stehende Ratzinger sei "sehr ehrgeizig" gewesen hinsichtlich der Leistung des Chors und habe darüber wohl den Blick für die Gesamtverantwortung für die Kinder verloren.

Hohe Dunkelziffer: 700 Opfer vermutet

Dem Abschlussbericht zufolge wurden über die Jahrzehnte insgesamt 547 Kinder Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt. Demnach wurden 500 Kinder Opfer körperlicher Gewalt, 67 Kinder auch Opfer sexueller Gewalt. Da einige Kinder sowohl körperliche wie auch sexuelle Gewalt erlitten, liegt die Zahl der Fälle laut Weber über den insgesamt betroffenen 547 Fällen. Es gebe aber eine Dunkelziffer, er gehe von mindestens 700 Opfern aus.

Wie Weber weiter sagte, beschrieben die Opfer die Zeiten bei den Regensburger Domspatzen im Nachhinein als "Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager" oder als schlimmste Zeit ihres Lebens. Besonders in der Vorschule des Chors seien die Übergriffe umfassend gewesen.

Laut Weber wurden 49 Beschuldigte identifiziert, die für die Taten verantwortlich gemacht werden könnten. Demnach waren fast alle Vorfälle zu jeder Zeit nach der jeweils gültigen Gesetzgebung strafbar. Es seien inzwischen aber alle Taten nach dem Strafrecht verjährt, so dass keine Strafverfolgung mehr möglich sei.

Angst vor Rufschädigung

Weber sprach von einer "Kultur des Schweigens", es sollten die Regensburger Domspatzen als Institution vor einer Rufschädigung geschützt werden. So habe auch eine frühe kritische Medienberichterstattung nicht zu Konsequenzen geführt.

Verantwortliche des Bistums teilten mit: "Wir haben alle Fehler gemacht und haben viel gelernt". Das Bistum könne nur um Entschuldigung bitten. Rechtsanwalt Weber bestätigte den Domspatzen, dass die organisatorischen Schwächen dort behoben worden seien. Inzwischen gebe es eine "zeitgemäße Pädagogik" sowie eine "hohe Sensibilisierung".