Auch am Tag nach dem schrecklichen Feuer im Grenfell Tower im Stadtteil Kensington in London sind noch viele Fragen offen. Zu Ursache gibt es bislang nur Spekulationen und die Zahl der Opfer steigt noch immer. Derzeit wurden 17 Todesopfer bestätigt, britische Medien wie die "Sun" oder "Daily Mail" berichten, dass die Opferzahl noch stark steigen könnte. Mehr als hundert Todesopfer werden befürchtet. Allerdings: Derzeit weiß noch niemand genau, wie viele Menschen in dieser Nacht tatsächlich in dem Gebäude waren. In dem Sozialbau mit 120 Wohnungen lebten britischen Medienberichten zufolge zwischen 400 und 600 Menschen.
Nach Angaben der Rettungskräfte wurden mindestens 79 Patienten in Kliniken behandelt, 18 von ihnen seien in einem kritischen Zustand. 65 Menschen wurden aus den Flammen gerettet.
Mittlerweile gibt es auch die ersten Aufnahmen aus dem Inneren des Hochhauses:
"Ich schicke keine Feuerwehrleute da rein"
Das Gebäude im Stadtteil Kensington gilt entgegen ersten Befürchtungen nicht als einsturzgefährdet. In den oberen Stockwerken suchten die Rettungskräfte dennoch vorerst nicht mehr nach Vermissten. Die Ränder des Gebäudes seien strukturell nicht sicher, sagte Feuerwehrchefin Dany Cotton am Donnerstag. "Ich schicke keine Feuerwehrleute da rein."
Cotton erklärte gegenüber der BBC:
Cotton kündigte an, mit einem Spezialteam und mit Hunden in das Gebäude zu gehen - weil Hunde leichter sind. Der Kern des Gebäudes sei strukturell sicher - gefährlich sei es am Rand der oberen Etagen. Anhand von Fingerabdrücken solle geklärt werden, wer alles im Gebäude war. Das alles könne Wochen dauern. Cotton sagte, die Rettungskräfte gingen nicht davon aus, noch jemanden lebend zu finden.
Neun verletzte Feuerwehrleute
Die Feuerwehr hat nach Angaben Cottons alle 24 Stockwerke kurz durchsuchen können. Für eine gründlichere Suche müssten vor allem die oberen Stockwerke erst gesichert werden. Niemand wisse, wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt des Feuers in dem Gebäude aufgehalten hätten. Neun Feuerwehrleute hätten sich bei der Suche nach Vermissten leicht verletzt. Sie sei aber mehr besorgt "über die psychische Gesundheit" ihrer Feuerwehr, sagte Cotton.
Unter den Vermissten sollen zwei junge Italiener sein, die vor kurzem nach London gezogen seien und im Grenfell Tower gewohnt hätten. Das berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Angehörige und das italienische Außenministerium.
Premierministerin Theresa May besuchte am Donnerstag den Brandort. Auf Fotos war sie zusammen mit Feuerwehrleuten zu sehen. Bereits am Mittwoch hatte May den Opfern ihre Anteilnahme ausgedrückt. Sie kündigte eine "sorgfältige Untersuchung" an.
Auch Königin Elizabeth II. drückte ihre Anteilnahme aus. Ihre Gedanken und Gebete seien bei den Familien, die Angehörige verloren hätten, sowie bei den vielen Menschen, die schwer verletzt im Krankenhaus lägen, teilte der Buckingham-Palast mit. Es sei ermutigend, zu sehen, wie viele Freiwillige nun zur Hilfe kämen. Hunderte Londoner spendeten Decken, Kleider oder Babynahrung für die Bewohner. Auch mehr als eine Million Pfund (1,14 Millionen Euro) an Spendengeldern kamen zusammen. Auch Prinz William und seine Frau Kate spendeten.
Unfall wie in der "Dritten Welt"
Die Ursache des Brands ist noch nicht geklärt. Londons Bürgermeister Sadiq Khan versprach umfassende Aufklärung. "Es wird im Laufe der nächsten Tage viele Fragen zur Ursache dieser Tragödie geben, und ich möchte den Londonern versichern, dass wir dazu alle Antworten bekommen werden."
Der britische Brandschutz-Experte Jon Hall nannte den Brand einen Unfall, wie er in der "Dritten Welt" vorkomme. "Alle Bestandteile der Feuersicherheit und des Gebäudemanagements" müssten versagt haben, vermutete er auf Twitter. Matt Wrack, der Chef der Feuerwehr-Gewerkschaft, sagte, nach dem Brand hätten die Bewohner des Gebäudes das Recht, kritische Fragen zu stellen - etwa, ob die Fassadenverkleidung die Feuersicherheit beeinträchtigt habe.
Das Gebäude wurde 1974 erbaut und von 2014 bis 2016 saniert. Es hatte bereits Beschwerden über unzureichenden Brandschutz in dem Hochhaus gegeben.
Mehr als 25 Millionen Pfund Schaden
Der Brand dürfte nach Angaben des norwegischen Konzerns Protector Forsikring mehr als 25 Millionen Pfund (28,42 Millionen Euro) ausmachen. Die Versicherungskosten dabei werden dem Erstversicherer zufolge fast völlig von der Münchener Rück getragen, sagte der Chef des Erstversicherers, Sverre Bjerkeli, am Donnerstag.
Die Kosten dürften für das Gebäude selbst etwa 20 Millionen Pfund betragen. Dazu kämen zusätzliche Kosten wie die Notunterkunft der Bewohner nach dem verheerenden Brand in der Nacht auf Mittwoch.