Der Islamische Staat (IS) zeigt in einem Video die heile Welt, wie er sie sich vorstellt. Und wie er dorthin kommen will. Die muslimische Familie mit vollverschleierter Frau schlendert beim Einkauf durch den Suk. Ziemlich unvermittelt ist dann Verstörendes zu sehen. Plötzlich werden Kampfszenen gezeigt und Menschen, denen die Köpfe abgeschnitten werden: Propaganda zur Rekrutierung.
Diese im Internet gezeigten Videos möglichst nicht zugänglich zu machen, ist nicht die einzige Aufgabe des European Counter Terrorism Centers (ECTC) bei der europäischen Polizeiagentur in Den Haag. Aber es zählt zu den wichtigsten Zielen.
Internet als Kampfplatz
Denn auch die Islamisten haben das Web als Kampfplatz auserkoren: "Das Internet ist ein Schlachtfeld für den Jihad, ein Platz für die Missionierung, ein Feld, auf dem man die Feinde Gottes konfrontieren kann. Es liegt an jedem Einzelnen, ein überzeugter Medien-Mujahid zu sein, sich selbst, seinen Wohlstand und seine Zeit Gott zu widmen", hieß es am 6. Mai 2011 in einer aus jihadistischen Kreisen veröffentlichten Erklärung.
"Jugendliche radikalisieren, die Gewalt rechtfertigen, Angst verbreiten und ein Zugehörigkeitsgefühl auslösen" nannte Europol-Experte Vincent Semestre dieser Tage vor Journalisten als Hauptziel der islamistischen Online-Propaganda. Soziale Netzwerke - und zwar alle - sind dafür optimale Medien.
Identifikation der Täter
Eine Hauptaufgabe derjenigen, die bei Europol das Internet beobachten, ist die Identifikation der Täter. "Wir schauen nicht einfach ins Internet, ob wir irgendetwas finden. Wir folgen konkret bestimmten Terrorgruppen - IS, Al-Kaida etc.", schilderte Semestre die Arbeit.
Dabei untersuchen die Terrorexperten bei Europol zunächst den Inhalt eines Dokuments, versuchen dann zu erkennen, wo es ins Netz gestellt wurde, um so schließlich auf die Urheber zu kommen. "Das Hauptziel ist die Identifikation der Hauptverantwortlichen für die Propaganda", sagte Semestre.
Zusammenarbeit mit Sozialen Netzwerken
Der zweite für Europol sehr wichtige Punkt ist die Zusammenarbeit mit den Sozialen Netzwerken, um jihadistische Propaganda möglichst schnell aus dem Net zu nehmen. Das Problem: "Wir können den Unternehmen nicht einfach sagen: 'Ihr nehmt das jetzt runter'", schilderte der Terrorexperte. "Wir machen sie darauf aufmerksam, dass wir bei ihnen etwas gefunden haben, von dem wir denken, dass es ihre Bestimmungen verletzt."
Immerhin in 87,6 Prozent der Fälle sehen das die betroffenen Unternehmen auch so und nehmen den jihadistischen Content herunter. Dass ein Unternehmen wie Facebook nicht gleich sofort reagiert, sah Semestre mit Verständnis: "Die bekommen jeden Tag Millionen von Anfragen."
Regionale Unterschiede: IS und Al-Kaida
Der IS ist derzeit natürlich das große Thema, aber "man darf die Al-Kaida nicht vergessen", sagte der Experte. Die Europol-Spezialisten haben übrigens durchaus Unterschiede in der Propaganda ausgemacht: "Al-Kaida nimmt mehr Bezug auf regionale politische Gegebenheiten. Beim IS ist die Unterscheidung viel eindeutiger: gut, böse, schwarz, weiß."
Der Kampf gegen Terrornetzwerke wird jedenfalls nicht einfacher, auch weil sie ihre internen Kommunikationsstrukturen immer mehr verändern. Die Experten sehen immer seltener reine Dialoge im Internet, immer mehr wird die Info nur mehr auf eine Cloud gestellt.
Rekrutierung auf mehreren Ebenen
Die Experten sehen auch, dass die Rekrutierung auf mehreren Ebenen abläuft. "Rekrutierer bleiben nicht in einem Land. Sie reisen herum. Wir haben teilweise Personen identifiziert, die in drei Jahren durch halb Europa gefahren sind", erfuhr die APA in Den Haag.
Besonders wichtig ist die überaus schwierige Kontrolle in den griechischen und italienischen Flüchtlingshotspots, die Rekrutierer der Jihadisten logischerweise anziehen. Wie das genau funktioniert, will Europol nicht so deutlich kommunizieren. Aber es sind Beamte der Polizeiagentur in den Camps, um Personen zu identifizieren, die ein Sicherheitsrisiko darstellen.
Doch auch die Strafverfolgungsbehörden haben sich umgestellt: "Die Anschläge in Brüssel und Paris haben alles geändert. Die Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsorganisationen funktioniert viel besser." Nicht zuletzt verändern sich auch die Strukturen der Polizeidienste selbst. So sind die belgischen Exekutivorganisationen trotz schwieriger Rahmenbedingungen (wegen des föderalen Systems, Anm.) nun viel besser gegen weitere Attacken gerüstet.