Die Spuren des Wahnsinns sind noch zu sehen: Eine Kolonne von Polizeiautos umgibt am Sonntagmorgen das Stadion im Istanbuler Stadtteil Besiktas. Die Straßen wurden nicht gereinigt, überall liegen weiße Polizeihelme herum, sind Wege abgesperrt, warten noch blau blinkende Rettungsfahrzeuge. "Verdammt soll es sein", titelte die türkische Tageszeitung "Hürriyet" in ihrer Sonntagsausgabe.

Mindestens 38 Menschen kamen am Abend zuvor ums Leben, rund 160 Menschen wurden verletzt. Vieles deutet darauf hin, dass dieses Attentat Polizisten gegolten hat - den ein Polizeibus wurde ganz gezielt angegriffen. Von den 38 Toten sind 30 Polizeibeamte. Über Monate hinweg hatten die Istanbuler Ruhe vor dem Terror - der ist nun wieder zurück.

Gegen 22.30 Uhr Ortszeit am Samstagabend wurde die erste Bombe gezündet. Eine Stunde nach einem Fußballspiel zwischen den Kult-Fußballvereinen Besiktas und Bursaspor nahe der Vodafonde-Arena ging eine Autobombe hoch. Die Detonation war über Kilometer hinweg in der Millionenmetropole hörbar. Noch bevor Eilmeldungen in den Medien berichteten, wurde in sozialen Netzwerken über einen Anschlag spekuliert.

Destabilisierung als Ziel

Der stellvertretende AKP-Regierungschef, Numan Kurtulmus, erklärte Sonntagfrüh, dass offenbar ein vorbeifahrendes Auto per Fernzündung gezündet worden sei. Wenige Sekunden später habe sich im naheliegenden "Macka-Demokratie-Park" ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Dieser hatte zuvor eine Gruppe von Polizisten angehalten. "Die Türkei hat zwei niederträchtige Bombenanschläge erlebt", so Kurtulmus. Rund 300 bis 400 Kilogramm Sprengstoff seien verwendet worden.

"Man muss derlei Anschläge verurteilen. Etwas Anderes kann man auch nicht tun. Ganz gleich, welche Organisation dahintersteckt, sie sei verflucht. Sie tun alles, um die Türkei zu destabilisieren und Chaos zu veranstalten. Das Klima dafür ist leider günstig. Die Türkei wird schlecht regiert - sehr, sehr schlecht", kommentierte die türkische, regierungskritische Onlinezeitung T24.

Nur wenige Stunden vor den Attentaten hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Entwurf für das von ihm angestrebte Präsidialsystem vorgelegt. "Wenn Gott will, wird dies der Beginn einer neuen Ära für die Türkei", sagte Erdogan noch tagsüber dazu in Istanbul.

Um das Stadion herum stehen fassungslose Polizeibeamte. Ein Polizist fordert die Journalisten auf, endlich zu gehen. "Verschwindet von hier, es gibt nichts zu berichten. Sie haben unsere Freunde getötet, lasst uns in Ruhe." Einer seiner Kollegen versucht, ihn zu beruhigen. Er legt ihm eine Hand auf die Schulter, und sagt: "Bruder, die Welt soll erfahren, was sie uns hier angetan haben." In der Luft kreisen Hubschrauber.

Zu dem Anschlag bekannt hat sich bisher noch niemand. Doch gibt es zwei terroristische Gruppen in der Türkei, die immer Bomben hochgehen lassen. Zum einen die Jihadisten des Islamischen Staates IS, zum anderen die kurdische Arbeiterpartei PKK, und deren Splitterorganisationen. Kurtulmus sagte auch, dass einiges auf die PKK hindeutet. Erdogan machte für das Unglück auch westliche Staaten mitverantwortlich. Denn diese hätten seinen Gegnern in ihren Ländern Schutz geboten.

Rund um das Vodafone-Stadion bewachen immer noch Hunderte Beamte die Aufräumarbeiten. "Wir werden unsere toten Brüder rächen", sagt ein Polizist. Es ist ihm anzusehen, dass er sich seine Tränen nur mit Mühe unterdrücken kann.

von Cigdem Akyol/APA