Mitten im Berufsverkehr in der thailändischen Hauptstadt Bangkok werfen sich zwölf Studenten auf einem Gehsteig vor einem lebensgroßen Porträt des verstorbenen Königs Bhumibol auf die Knie und beten. Vor dem Palast stehen Zehntausende stundenlang Schlange, viele mit rot geweinten Augen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Die Trauer um den Monarchen hat das Land fest im Griff. Millionen tragen schwarz, und wer nicht wenigstens gedeckte Farben trägt, sticht wie ein Fremdkörper aus der Trauermasse hervor. Wie kann im 21. Jahrhundert ein 88-jähriger König, seit Jahren krank und kaum mehr in der Öffentlichkeit, eine solche Welle der Emotionen auslösen?

"Er konnte den normalen Menschen ins Auge sehen und ihre Probleme und ihren Existenzkampf verstehen", sagt der im Ausland aufgewachsene Autor und Komponist Somtow Sucharitkul. "Die traditionelle Religion, der Buddhismus, funktioniert in vieler Hinsicht nicht mehr, so war der König das beste Beispiel einer tugendhaften Person", sagt Philosophieprofessor Soraj Hongladarom. "Ohne ihn fühlen die Menschen sich verloren, als wenn das ihnen vertraute Leben nun vorbei ist."

An den Tod von Prinzessin Diana erinnert

Mancher fühlt sich an die außerordentlichen Gefühlsausbrüche der Trauer in Großbritannien nach dem Tod von Prinzessin Diana 1997 erinnert. Plötzlich identifizierten sich die kleinen Leute mit der Frau, die sie als "Prinzessin des Volkes" verehrten. "Mein Platz ist mitten unter meinem Volk" war auch das Motto von Bhumibol. Natürlich hinkt der Vergleich zwischen Diana und Bhumibol. Anders als die Prinzessin hat Bhumibol das Land in seinen 70 Amtsjahren durch seine Ideen und Entwicklungsprojekte umgekrempelt.

Jeder in Thailand ist mit den Leistungen des Königs vertraut. Sie wurden seit Jahren täglich im Fernsehen gezeigt. Und für die Generation nach den Fernsehschauern: Vor jedem Kinofilm müssen Besucher zur Königshymne aufstehen, während ein kurzer Film mit historischem Material läuft. Der König beim Landvermessen, beim Bau von Bewässerungsgräben, bei Verwundeten und Bedürftigen.

Bizarr

Die Trauer nimmt inzwischen auch bizarre Züge an. Menschen lassen sich das Zeichen für "9" eintätowieren, auch auf die Stirn. Bhumibol war der 9. König der Chakri-Dynastie. Banken geben Millionen schwarze T-Shirts an Bedürftige, damit auch sie ihre Trauer zeigen können. Eine Hotline gibt Tipps zur Trauerbewältigung.

Unheimlicher sind Geschichten wie diese: Ein Mann wird von einem Mob aus seinem Haus gezerrt und muss sich vor einem Königsporträt in den Staub werfen und entschuldigen. Eine Frau schlägt einer anderen auf der Straße mit voller Wucht ins Gesicht, und die Geschlagene wird noch angepöbelt. Wer Fotos von sich im bunten T-Shirt auf Facebook postet, muss mit einer Protestlawine rechnen. Selbst über den, der auf Facebook zur Trauer schreibt, dass Leben und Tod der normale Lauf der Dinge seien, bricht eine Wutwelle herein.

Die Vergehen? Nicht genügend Trauerbekundung. Das wird als Majestätsbeleidigung ausgelegt. Dagegen gibt es ein drakonisches Gesetz mit bis zu 15 Jahren Haft. Jeder kann jeden anzeigen.

Zukunftsangst

Treibt neben der Trauer über das Ende einer Ära auch Zukunftsangst die Angreifer an? Der König hatte auf dem Papier zwar keine Macht. Er wurde aber als Integrationsfigur und Garant der Einheit hochgehalten, vor allem während der blutigen Grabenkämpfe zwischen Arm und Reich, Land- und Stadtbevölkerung in den vergangenen Jahre. Nach seinem Tod ist die Atmosphäre gespannt. Selbst Akademiker bleiben stumm. In diesen Tagen kann alles andere als tiefe Trauerbekundungen gefährlich werden. Somkiat Onwimon, Kommunikationsdozent im Ruhestand, erklärt die beispiellose Trauerwelle so: "Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber wir wissen eins: dieser König war großartig."