Am Ground Zero wird wieder gebaut. Lautes Hämmern schallt vom Rohbau des Ronald O. Perelman Performing Arts Center herüber zum Denkmal für den ehemaligen Südturm des Word Trade Centers. 2023 soll der Bau abgeschlossen sein, doch die Neugestaltung des ehemaligen Standorts der Twin Towers ist damit noch nicht abgeschlossen.

Mindestens zwei Wolkenkratzer fehlen noch, die irgendwann die New Yorker Skyline ebenso prägen sollen, wie es die Zwillingstürme einmal getan haben und wie es das One World Center bereits tut, der Prunkturm mit acht Seiten, der bereits seit sieben Jahren von der Südspitze Manhattans aus in den Himmel ragt. Doch wann die Arbeiten für die nächsten Skyscraper beginnen sollen, ist heute noch nicht abzusehen.

Kampf mit dem Erbe

Ganz unpassend ist die Verzögerung nicht. Schließlich kämpft New York auch zwei Jahrzehnte nach den verheerendsten Anschlägen der amerikanischen Geschichte noch mit deren Erbe. Hier, im Financial District unweit der Wall Street, ist die Katastrophe noch immer allgegenwärtig. Plakate mit den Bildern verstorbener Feuerwehrmänner, Polizisten und Rettungssanitäter hängen an Gebäuden rund um Ground Zero. Ein Tribut an die Menschen, die auf das Inferno zugerannt sind, um zu helfen – und mit ihrem Leben bezahlt haben.

9/11 lässt die Stadt nicht los. Und wie sollte es auch? Die Anschläge trafen New York, Heimat von mehr als acht Millionen Menschen und das Zentrum des internationalen Handels, der Kultur und der Hochfinanz, ins Mark. Vor den Angriffen befand sich die Metropole im Aufschwung. Sie hatte den Optimismus der 1990er-Jahre ins 21. Jahrhundert gerettet. Doch dann kam der Schock. Von den 2977 Menschen, die am 11. September 2001 durch die Angriffe ihre Leben verloren, starben 2753 am World Trade Center. Und es hätten noch viel mehr sein können, hätte der Start des Schuljahrs nicht dafür gesorgt, dass anstatt der üblichen 50.000 Menschen schätzungsweise nur rund 17.400 an ihren Arbeitsplätzen in den Twin Towers waren, als um 8:46 Uhr American-Airlines-Flug 11 zwischen dem 93. und 99. Stockwerk in den Nordturm einschlug.


„Ich werde diesen Anblick nie vergessen“, sagt Joan Mastropaolo. Sie und ihr Mann Frank lebten damals in einem Apartmentgebäude direkt neben dem World Trade Center. Der Südturm stand vor ihrem Küchenfenster. Kurz vor dem Angriff war Joan zur Arbeit nach Jersey City gefahren, ans andere Ufer des Hudson Rivers. Aus dem Konferenzraum ihres Büros konnte sie direkt auf die Zwillingstürme schauen. „Ich hörte plötzlich ein lautes Geräusch“, erinnert sie sich. Dann sah sie das Flugzeug viel zu niedrig über den Fluss schießen. „Und dann hat das Gebäude es einfach verschluckt.“ Sofort rief sie ihren Mann Frank an, der noch im Apartment war. „Ich glaube, wir wurden angegriffen“, sagte sie ihm.

Joan Mastropaolo vor einem Plakat der Türme, die nicht mehr existieren.
Joan Mastropaolo vor einem Plakat der Türme, die nicht mehr existieren. © Heißler


Für die Mastropaolos folgte eine harte Zeit. Nachdem um 9:03 Uhr United-Flug 175 in den Südturm einschlug, verlor das Ehepaar den Kontakt zueinander. Erst Stunden später fanden sie sich wieder. Der Zusammensturz der Türme begrub ihr Apartment und alles darin unter einer dicken Schicht giftigen Staubs, der bis heute für den Tod Hunderter Menschen verantwortlich gemacht wird, die die toxische Luft am Ground Zero einatmen mussten. Einen festen Wohnsitz fanden die Mastropaolos erst Monate später wieder – in einem Haus nur einen Block vom World Trade Center entfernt. Sie leben dort bis heute. Losgelassen hat sie die Erinnerung an 9/11 nie. Ihr Mann leide unter posttraumatischer Belastungsstörung, sagt Joan. „Er erträgt keine lauten Geräusche mehr.“ Sie selbst schaut immer wieder ängstlich zum Himmel. „Wenn ich ein tief fliegendes Flugzeug sehe, bekomme ich Panik“, sagt sie.


Doch wie dieses Ehepaar hat sich auch New York trotz der Wunden zurück in die Normalität gekämpft. In den Jahren nach 9/11 erholte sich die Stadt, emotional und wirtschaftlich. Auf rund 36 Milliarden Dollar taxierte die New Yorker Zentralbank die Schäden der Anschläge, doch schon 2004 hatte die Stadt den finanziellen Schock ausgeglichen. Seit den frühen 2000er-Jahren hat sich die Metropole weiter modernisiert, ist sicherer und lebenswerter geworden. Doch wie brüchig diese Fassade ist, hat New York nun wieder erlebt.

Pandemie

Im vergangenen Jahr brachte die Corona-Pandemie die Stadt einmal mehr an ihre Grenzen – und nun kam auch noch Hurrikan „Ida“. Bei den verheerenden Sturzfluten sind in den vergangenen Tagen mindestens 41 Menschen ums Leben gekommen. Auch das hinterlässt Risse.


Während Corona mussten zeitweise die Toten außerdem in Kühltransportern gestapelt werden, da die Leichenhallen überfüllt waren. Und anders als nach 9/11, als Metropole und Land zusammenkamen, hat Covid-19 neue Gräben geschaffen. Auch hat das Virus das Potenzial, die Erinnerung an die Anschläge nachhaltig zu überschatten. Im 9/11-Tribute-Museum ist an diesen Tagen kaum Betrieb. Nur wenige Touristen kommen in die Stadt. Für das kleine private Erinnerungsinstitut, das die Geschichten von Überlebenden sammelt, ein enormes Problem. Ohne Kartenverkäufe wird die Situation angespannt bleiben.


Dabei könnten die Erfahrungen im Umgang mit 9/11 helfen, auch die Verwerfungen der Pandemie gemeinsam zu verarbeiten, glaubt man im Museum. „Wir haben gelernt, dass wir uns erinnern müssen, um hoffnungsvoll nach vorne zu blicken“, so ein Tourguide. „Und wir haben gelernt, dass New York eine robuste Stadt ist, die alles überleben kann.“