Unverantwortlich sei das, was nun in einigen Regalen steht, sagt eine Verkäuferin in einem Supermarkt in Helsinki. Gemeint sind die vielen Wein- und Bierflaschen, auf denen großgeschriebene Prozentangaben mit der Zahl Acht prangen und die seit dieser Woche auch außerhalb von Spezialgeschäften zu kaufen sind – von der Kundschaft ab 18 Jahren versteht sich.

Angst um Hochrisikokonsumenten

 Wie in anderen skandinavischen Ländern hat in Finnland der Staat das Monopol auf alkoholische Getränke. Zuvor galt, dass nur Getränke bis 5,5 Prozent jenseits der staatlich kontrollierten „Alko“-Monopolläden verkauft werden dürfen. Gegen das neue Gesetz gab und gibt es Widerstand, der gerade von den finnischen Medien aufgefangen wird. Die Liberalisierung, welche die Mitte-rechts-Regierung initiierte, kam in der vergangenen Woche auch nur knapp durch das Parlament.

„Finnland müsse seine Alkoholpolitik mehr an die der anderen europäischen Länder anpassen“, sagte Regierungschef Petteri Orpo. Die Reform tue dies auf „eine verantwortungsvolle Art und Weise“. Doch nicht alle Abgeordneten seiner Koalition haben hier mitgezogen. Denn bei der Vorbereitung des Gesetzes wurden die Bedenken der Experten des Finnischen Instituts für Gesundheit und Wohlfahrt (THL) im parlamentarischen Ausschuss nicht gehört. So warnt THL-Alkoholismus-Expertin Pia Mäkelä, dass sich die Sterblichkeit der „Hochrisikokonsumenten“ durch die Liberalisierung erhöhen würde.

Soziales Schmiermittel

Rein statistisch geht der Alkoholverbrauch in Finnland zurück. Lag der jährliche Konsum von reinem Alkohol pro Bewohner im Jahr 2010 noch bei zehn Litern, so ist er 2022 auf 7,6 Liter gesunken. Damit liegt das Land unter dem EU-Durchschnitt. Allerdings ist das Trinkverhalten anders als im Süden Europas. „Alkohol ist in Finnland ein soziales Schmiermittel“, sagt Mäkelä – man trinkt, um seine soziale Scheu zu überwinden und dies vor allem am Wochenende und dabei oft exzessiv.

In der Vergangenheit waren die langen Winternächte und das früher harte und karge Leben ein Grund für die skandinavische Neigung zum Alkoholmissbrauch. Hinzugekommen sind mittlerweile die Auswirkungen der Pandemie und der strengen Lockdowns, die den seltsamen finnischen Brauch „Kalsarikännit“ – frei übersetzt bedeutet das „in der Unterhose alleine zu Hause sitzen und sich volllaufen lassen“ – befördert haben.

Die aktuelle Entwicklung in Finnland wird derzeit in Schweden genau verfolgt. Auch dort will sich die bürgerliche Regierung an die anderen EU-Staaten mehr anpassen. So sollen die Schwedinnen und Schweden ab 2025 alkoholische Getränke direkt beim Hersteller bestellen können – im begrenzten Umfang, über den sich die Koalitionäre der bürgerlichen Regierung gerade noch streiten. Das System mit den Monopolgeschäften will die Führung in Stockholm allerdings beibehalten.