30.000 Menschen waren in Brasilien vor ein paar Wochen ohne Strom. Der Grund? Wegen der heftigen Regenfälle, die mehrere Menschenleben kosteten, stürzte ein Staudamm unweit eines Wasserkraftwerks ein. Wenige Jahre davor kostete der Einsturz eines Staudamms bei Brumadinho beinahe 300 Menschen das Leben und infolgedessen wurden große Flächen an Land mit Schlamm überschwemmt – eine nationale Katastrophe. Brasiliens Staudämme sind oft Ursache für Schreckensnachrichten.

Der Bau von Staudämmen bringt ernsthafte ökologische und soziale Risiken mit sich, wie Aldenisse de Souza Silva und Moisés Borges de Oliveira e Silva wissen. Die beiden setzen sich gemeinsam mit „Movement of Dam Affected People“ (MAB) und IRPAA, einem Institut für Kleinbauernwirtschaft, seit Jahren für das Recht auf Wasser ein. MAB ist eine soziale Bewegung in Brasilien, die sich für die Rechte von Menschen einsetzt, die von Staudammprojekten betroffen sind. 

Tourist fotografiert Staumauer des Wasserkraftwerks Itaipu in Foz do Iguacu in Brasilien. (Symbolfoto)
Tourist fotografiert Staumauer des Wasserkraftwerks Itaipu in Foz do Iguacu in Brasilien. (Symbolfoto) © IMAGO / Xinhua

Bei ihrer Arbeit mit MAB fokussieren sie sich auf drei Themen, nämlich die Diskussion über bestehende Wirtschaftsmodelle, ein Energiemodell für die Bevölkerung sowie die Rechte von Staudamm-Betroffenen. 

Der Bau von Staudämmen geht oft mit der Überflutung riesiger Flächen einher, was Ökosysteme zerstört und Lebensräume vernichtet. Die indigene Bevölkerung, die oft in diesen Gebieten lebt, ist von Vertreibung bedroht und verliert Zugang zu Ressourcen wie Land und Wasser. Hinzu kommt die Verschwendung von Ressourcen wie Boden, die durch die Überflutung entsteht, und die Freisetzung von Treibhausgasen wie Methan, die zum Klimawandel beitragen. Bei ihrer Österreich-Reise ist den beiden aufgefallen, wie anders der Diskurs rund um die Energiegewinnung geführt wird: “Hier wird gefragt, ob die Windräder Auswirkungen auf die Umwelt haben, während in Brasilien ganze Dörfer wegen der Errichtung von Staudämmen vertrieben werden”, so Moisés.

Ein Überschuss an Energie

Doch gerade hier herrscht ein großer Widerspruch: “Brasilien produziert eigentlich mehr Energie als es braucht”, weiß Moisés, “trotzdem zahlen die Menschen den fünft-höchsten Energiepreis weltweit, während Konzerne Vergünstigung erhalten.” Auch dürfen sich die Familien den Stromanbieter nicht aussuchen, sondern bekommen diesen vorgegeben. Ein System, das es so seit den 90er-Jahren gibt. “Der Protest der Bevölkerung ist die einzige Möglichkeit, diesen Missstand zu stoppen”, ist Moisés überzeugt. 

Unter Jair Bolsonaro, Brasiliens ehemaligen Präsidenten, herrschte ein Diskurs von Hass und Gewalt, erinnert sich Moisés. Ein ehemaliger Kollege von ihm wurde 2019 ermordet, nachdem er illegale Abholzung angeklagt hatte  “das zeigt, unter welchen Umständen wir arbeiten.” Unter dem aktuellen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva hat sich die Lage für die Aktivisten drastisch verändert: “Soziale Bewegungen sind unter Lula ein Teil der Demokratie. Außerdem wurde 2023 ein Gesetz erlassen, das die Rechte von Staudamm-Betroffenen absichert.” Ein wichtiger Punkt in diesem Diskurs war etwa der “Begriff der Betroffenen” – früher haben nämlich die Baufirmen bestimmt, wer vom Bau eines Staudamms betroffen war. Neu verankert ist in diesem Gesetz etwa auch, dass kleine Händler, die durch einen Staudamm kein Geschäft mehr machen können, eine finanzielle Entschädigung erhalten. 

Aldenisse ergänzt, dass die wirtschaftliche Situation der indigenen Gemeinschaften stark mit dem festgefahrenen Modell aus den 90ern verbunden ist: “Große Konzerne sind die Profiteure in dieser Situation. Die Welt sieht Brasilien als Rohstofflieferant.” Sie ist sich sicher, dass Brasilien das globale Ranking der Ungleichheit anführt: “Ein Prozent verfügt über 51 Prozent des Landes und die Welt vertraut darauf, dass mit dem Amazonasschutz alles geregelt ist.” Dabei gibt es noch viele andere Gebiete, die schützenswert sind. Etwa die Caatinga, eine Dornstrauchsavanne im nordöstlichen Teil von Brasilien. 700 Hektar ebendieser wurden für Solarenergie zerstört - im Namen von ‚sauberer Energie‘”, kritisiert Aldenisse. Internationale Konzerne brüsten sich damit, nachhaltig zu agieren, tragen mit diesem Verhalten aber zur prekären Lage der Brasilianerinnen und Brasilianer bei. 

BOKU untersucht Energiegewinnung in Brasilien

Die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) hat in einer Studie das „Green Grabbing für erneuerbare Energien in Brasilien“ untersucht. Darin wurde Brasiliens rascher Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere von Wind- und Solarenergie, genauer beleuchtet. Das Ergebnis war durchaus kritisch: Der Flächenbedarf der neuen Energieformen verändert den Zugang zu Land und bedroht traditionelle Gemeinschaften. Mit dem Ausbau ebendieser hofft man, die nationale Abhängigkeit von Wasserkraft zu verringern. „Ein Mitglied einer traditionellen Gemeinschaft im Nordosten Brasiliens hat das in einem Workshop so formuliert: ‘Saubere Energien mit schmutzigen Methoden’. Weil europäische Firmen so stark in die brasilianische erneuerbare Energieproduktion involviert sind, und weil Brasilien Ambitionen hat, grünen Wasserstoff zu erzeugen und nach Europa zu verschiffen, sind die ‘schmutzigen Methoden’ aber nicht nur eine nationale Angelegenheit, sondern betreffen uns hier in Europa ebenfalls“, so einer der Ko-Autoren der Studie, Johannes Schmidt.

Laut MAB sind die Herausforderungen in Lateinamerika enorm, Hunderte Wasserkraftprojekte werden entwickelt, wovon unzählige Landwirte und Ureinwohner betroffen sind. Moisés und Aldenisse hoffen, mit internationaler Unterstützung dieser Entwicklung entgegenwirken zu können.