Kälte war in Russland im Verlauf der Geschichte stets auch eine Waffe. Als die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion überfallen wollte, scheiterte man ebenso wie Napoleon bei seinem Feldzug im Jahr 1812 an den eisigen Temperaturen des Landes. Von der Kälte geschwächten feindlichen Truppen gelang es niemals, Russland zu Fall zu bringen.

Russlands Infrastruktur als Sorgenkind

Nun ist es wieder Winter in Russland und es herrscht wieder Krieg. Die Kälte bekommen nun aber auch die Russinnen und Russen zu spüren: Ein ausgefallenes Heizkraftwerk, das 170 Hochhäuser versorgt und überalterte Leitungen führen derzeit dazu, dass Tausende Russinnen und Russen quer durch das Land bei teilweise minus 30 Grad in unbeheizten Wohnungen sitzen müssen.

Während eine derzeit in Moskau stattfindende Ausstellung Russlands Regionen als „Zentren des technischen Fortschritts“ preist, ist die Lebensrealität eine andere.  In der Stadt Elektrostal, nahe der Hauptstadt, soll in einigen Häusern seit Mitte Dezember nicht mehr geheizt worden sein. Bürgerinnen und Bürger wärmen sich an offenen Feuern auf der Straße, während andere sich über Eiszapfen beklagen, die sich an den Fenstern bilden – innerhalb ihrer Wohnungen, wohlgemerkt.

Der Ökonom Vasily Astrov
Der Ökonom Vasily Astrov © wiiw

Es ist paradox, Russland als einer der größten Energie-Exporteure der Welt es nicht schafft, die eigene Bevölkerung mit genug Energie zum Heizen zu versorgen“, sagt Vasily Astrov, Wirtschaftswissenschaftler und Osteuropaexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) im Interview. Neu ist das Problem jedenfalls nicht. Bereits seit Jahrzehnten leidet die russische Bevölkerung unter der schlechten Energieversorgung. Im Sommer kommt es immer wieder zu behördlich verordneten Abschaltungen von Warmwasser, im Winter immer wieder zu Heizungsausfällen.

Proteste beginnen

Ein überwiegender Teil der russischen Energie-Infrastruktur stammt noch aus der Sowjetunion, eine Modernisierung war politisch nie das oberste Anliegen. „Russlands Führung hat immer andere Prioritäten verfolgt“, so Astrov. Die Energieversorgung blieb auf der Strecke. Auch jetzt hat die Führung rund um Präsident Wladimir Putin andere Probleme. Wegen des Krieges gegen die Ukraine ist der Staat angewiesen zu sparen, Inventionen oder Subventionen sind kein Thema. Astrov glaubt, dass weitere Sparmaßnahmen dazu führen könnten, dass sich die Lage noch verschlechtert.

In einigen Städten protestierten betroffene Bürger bereits. Dass die mangelnde Energieversorgung für Putin, der sich im März um eine fünfte Amtszeit als Präsident bewirbt, politisch unangenehm werden könnte, glaubt Astrov jedoch nicht. „Das Regime hat es mit seiner Propaganda bisher immer wieder geschafft, Sündenböcke zu finden, denen man die Versäumnisse in die Schuhe schieben kann“. In Putins Russland ist nie der Präsident schuld an Missständen, vielmehr sind es Lokalpolitiker, die ihren Kopf hinhalten müssen. Auch dieses Mal ist es nicht anders. Am Mittwoch wurde der stellvertretende Verwaltungschef von Moskaus Nachbarstadt Podolsk, Roman Rjasanzew, wegen der derzeitigen Situation, kurzerhand verhaftet.