Es gehört zu den Gepflogenheiten des Wahlabends in den Niederlanden, dass die Kandidaten zunächst den Mitbewerbern zum Ergebnis gratulieren. An diesem Abend aber war es anders. Zu tief saß der Schock. Nur einer begann schon mal leise mit dem Umwerben: der Überraschungssieger Geert Wilders von der rechtspopulistischen Freiheitspartei PVV. „Wenn ich Premier werde, dann bin ich Regierungschef für alle Niederländer“, hatte Geert Wilders schon vor der Wahl gesagt. Erstmal verbal abrüsten auf der Suche nach möglichen Bündnispartnern.
Schock sitzt tief
Wilders, 60, hatte erst in der Endphase des Wahlkampfs aufgeholt. Und das fulminant. Sein Erfolg war ein Schock an diesem Abend. Der Rechtsaußen profitierte von der Schwäche der Gegner. Pieter Omtzigt mit seiner neuen Partei Nieuw Sociaal Contract – Neuer Gesellschaftsvertrag – zauderte zu lange mit eigenen Ambitionen für das Amt des Regierungschefs. Dilan Yesilgöz, Justizministerin und Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Partei VVD des scheidenden Premiers Mark Rutte, war als Frau dem alten weißen Mann unter den liberalen Wählern dann doch schwerer vermittelbar als vermutet. Holland ist noch nicht reif für die erste Frau an der Spitze einer Regierung im Land.
Wilders Freiheitspartei PVV hat laut einer am Donnerstagmorgen veröffentlichten Hochrechnung im Vergleich zum Wahlabend nochmals zulegen können. Sie kommt nun auf 37 Sitze (plus 179 im Parlament. Yesilgöz‘ VVD erringt 24 Mandate (minus 8), das neue rot-grüne Listenbündnis von des früheren Vize-Chefs der EU-Kommission Frans Timmermans wird zweitstärkste Kraft mit 25 Sitzen (plus 8), Omtzigts neue Reformpartei NSC kommt aus dem Stand auf 20 Abgeordnete. Es ist viel in Bewegung geraten in den Niederlanden.
Nur die PVV bleibt, wie sie ist. Die Presse durfte nicht rein zur Wahlparty in einem Volkscafé in Scheveningen, sondern musste in einem Nebenraum warten. Es gibt Vorbehalte. Normalerweise verbrachte Wilders seine Wahlabende in Den Haag im Parlament. Auch aus Sicherheitsgründen. Nun feierte er den größten Erfolg seiner Partei mit seiner Basis. Nur ein Tweet gelang zunächst nach draußen. Wilders triumphierend mit beiden Armen nach oben vor einem TV-Bildschirm mit den ersten Exitpolls.
Vor 18 Jahren hatte er seine Freiheitspartei PVV gegründet. Und stand stets am Rand. Rutte ließ 2010 kurz seine Minderheitsregierung von Wilders dulden, um ihn dann abzukanzeln. 2017 kam es zum Finale auf rechts zwischen Rutte und Wilders. Rutte stilisierte das Modell zu einer Entscheidung von europäischem Ausmaß, in einem Jahr, in dem auch in Frankreich und Deutschland gewählt wurde. „Von Viertelfinale, Halbfinale und Finale“ sprach Rutte und siegte. Sechs Jahre später lässt sich sagen: Europa hat das Rückspiel verloren. Nach Ungarn im Osten, Schweden im Norden und Italien droht mit den Niederlanden auch ein zentraler europäischer Spieler in der EU nach Rechtsaußen zu fallen. Der Nexit steht im Raum – der Abschied Hollands aus der EU.
Doch ist der Weg zum Regierungsamt noch weit. Wilders klang im Wahlkampf zwar milder. So will der den Koran im Land nicht mehr verbieten, auch Moscheen könnten geöffnet bleiben. Doch hält Omtzigt das Programm des Kontrahenten weiter für verfassungswidrig. Auch Yesilgöz mag nicht als Juniorpartner mit Wilders regieren. Wird schwierig mit der Regierungsbildung im Land. So dominiert in den kommenden Tagen die Suche nach Teil- und Schnittmengen. Und die politische Mengenlehre.
Entscheidende Rolle des Königs
Eine wichtige Rolle kommt jetzt dem niederländischen König Willem-Alexander zu. Er bestimmt einen Informateur, der zunächst die Chancen möglicher Kandidaten auf eine parlamentarische Mehrheit prüft. Auf der Basis dieser Sondierungen betraut der König einen Formateur mit der Bildung einer Regierung. Das kann der Wahlsieger sein. Muss nicht. Wird noch ein weiter Weg für Wilders. Zumal am Wahltag Medienberichte publik wurden, nach denen Wilders Geld aus Russland erhielt. Von anderen rechten Parteien in Europa ist dies amtlich belegt. Etwa bei der französischen Rechtsaußenpolitikerin Marine Le Pen.
Wilders will nach seinem überraschend klaren Wahlsieg nun umgehend die Möglichkeiten für eine Regierungsbildung ausloten. Die Regierungsbildung dürfte aber dennoch dauern. Die letzten Koalitionsverhandlungen nach der Wahl vor zwei Jahren zogen sich rund 300 Tage hin. Dem scheidenden Regierungschef Mark Rutte kann das nur gelegen kommen. Er bleibt geschäftsführend im Amt. Und darf auf eine neue Verwendung hoffen. Rutte wird trotz aller Dementi als Nachfolger von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär gehandelt. Das Bündnis feiert im kommenden Jahr sein 75-jähriges Bestehen mit einem Gipfel in Washington. Der ist auf Juli terminiert. Könnte zeitlich hinkommen mit der schwierigen Mehrheitsbildung in Holland.