Wenn man sich die aktuelle Modellpalette von Mercedes ansieht, wird es schnell offensichtlich, dass die Stuttgarter derzeit jede Nische besetzen, die sich irgendwo auftut. Von der kompakten A-Klasse bis zum kompakten SUV GLA, dem viertürigen CLS zum Überdrüber-Sportler AMG GT R – so breit wie heute war die Marke mit dem Stern noch nie aufgestellt. Da verwundert es umso mehr, dass man sich noch nie einer der ältesten Fahrzeugklassen überhaupt angenommen hat: die der Pick-ups. Aber in einem Jahr ist es dann endlich soweit. Und was uns dann erwarten wird, zeigt uns jetzt schon die Studie X-Class Concept.
Wieso der Neue den Namen X-Klasse trägt, ist schnell erklärt: Zuständig für den Bau ist nämlich nicht die Gelände-Sparte, sondern die Van-Abteilung, deren Aushängeschild die V-Klasse ist. Ein Kürzel, das mit G anfängt, kam also nicht in Frage. GLX würde sich auch irgendwie komisch anhören, also entschied man sich gleich dafür, der völlig neuen Baureihe auch einen eigenständigen Namen zu verpassen.
Warum man sich aber gar so lange Zeit ließ, ist nicht ganz klar. Scheinbar musste das Segment erst entsprechend wachsen, bis Dieter Zetsche und seine Mannschaft auf das Thema ansprangen. Denn die so genannten Eintonnen-Pick-ups (eine Tonne Zuladung) haben sich endgültig von ihrer Rolle als stoische Lastesel verabschiedet. Moderne Exemplare bieten immer mehr den Komfort eines Pkw bei unveränderter Robustheit und Praktikabilität. Eine besonders bei Unternehmern beliebte Kombination, auch in Europa. Höchste Zeit also für Mercedes, da ein wenig mitzumischen.
Und da das Serienmodell noch so lange auf sich warten lässt, zeigt der X-Class Concept schon jetzt, wie dieser Auftritt aussehen wird. Allem voran bietet sie einen Blick auf die Technik: Um auf diesem völlig neuen Terrain nämlich nicht bei Null anfangen zu müssen, vertraut Mercedes wie schon beim Citan auf ein bestehendes Fahrzeug aus der Renault-Nissan-Allianz. Deren Navara liefert den Leiterrahmen, die Karosseristruktur sowie Achsen und Getriebe. Da dieser Pick-up der einzige auf dem Markt ist, der hinten keine Blatt- sondern Schraubenfedern verbaut hat, glänzt auch das X-Class Concept mit soliden Straßenfahr-Eigenschaften.
Außerdem erlaubt der solide Leiterrahmen (auf dem auch der kommende Renault Alaskan aufbauen wird) neben 3,5 Tonnen Anhängelast den Designern ganz andere Möglichkeiten, großzügig Blechteile auszutauschen, um eine eigenständige Optik zu generieren. Ihnen fällt schließlich keine tragende Funktion zu, insofern verwundert es niemanden, dass man schon sehr genau hinsehen muss, um hier noch den Nissan als Basisfahrzeug erkennen zu können. Die komplette Front zeigt sich neu gezeichnet, bis hin zu den vorderen Türen. Die Fahrgastzelle der Doppelkabine an sich blieb aber weitgehend unberührt, inklusive den hinteren Türen.
Weniger offensichtlich ist da schon die Wahl des Antriebsstrangs: Der Navara bietet nur einen Vierzylinder-Diesel mit zuschaltbarem Allradantrieb. Mercedes setzt hier lieber auf ihre eigenen R4- und V6-Aggregate und auch den 4x4-Strang ersetzt man gegen einen permanent betriebenen. Untersetzungsgetriebe, Differenzialsperren sowie eine breitere Spur sorgen weiters für solide Offroad-Talente.
Wo die Stuttgarter wirklich auftrumpfen und dem Concept ihren ganz persönlichen Stempel aufdrücken, ist der Innenraum: Der zeigt sich fast schon auf S-Klasse-Niveau, ist fein beledert, mit zahlreichen Teilen aus gefrästem Aluminium und modernen Infotainmentsystemen aus der Comand-Serie garniert, über die auch Serienmodelle wie die C-, E- oder auch die V-Klasse verfügen.
Genau so wie die Assistenzsysteme, die es bis jetzt noch nie in einem Pick-up gegeben hat. Da können die Untertürkheimer natürlich aus dem Vollen schöpfen, und so glänzt der X-Class Concept zum Beispiel mit Radartempomat, Internet-Diensten, W-LAN-Hotspot und GPS-Ortungssystemen. Etwas übertrieben für ein Nutzfahrzeug? Vielleicht, aber Mercedes möchte den Bogen dieser Klasse noch weiter Richtung Luxus und High-Tech spannen, weswegen man hier auch gerne vom ersten Premium-Pick-up spricht.
Und um dessen Vielseitigkeit möglichst umfassend zeigen zu können, hat man gleich zwei Versionen der Studie enthüllt. Zum einen den „Powerful Adventurer“, betont rustikal mit Stollenreifen, höhergelegtem Fahrwerk, mattschwarzen Verbreiterungen und einer Seilwinde im vorderen Stoßfänger. Zum anderen den „Stylisch Explorer“, elegant in schickem Silber gehalten, mit 22-Zoll-Niederquerschnitt-Pneus, lackierten Stoßfängern und einem durchgehenden Leuchtenband am Heck, was wohl wirklich nur der Studie vorbehalten bleiben wird.
Vom Band laufen wird die X-Klasse übrigens nicht in Deutschland, sondern in Cordoba und Barcelona. Schließlich zählt nicht nur Europa zu den Wachstumsmärkten der Eintonnen-Pick-ups, sondern auch Südamerika. Nur die USA hat Mercedes nicht im Visier. Ausgerechnet für das Mutterland dieser Fahrzeuggattung dürfte dieser Stern eine Nummer zu klein sein.